Kommunikation: Forschung

Digitale Werkzeuge für Stadtplaner

Dreidimensionelle Stadtmodelle
Semantische 3D-Stadtmodelle sind nicht nur dreidimensionale Abbildungen einer „Virtual Reality“ sondern auch sichtbar gemachte Datenbanken. © TUM, Lehrstuhl für Geoinformatik

Am Leonhard Obermeyer Center in München werden in mehreren Forschungsprojekten digitale Methoden für die Stadtplanung entwickelt

Fünf Lehrstühle der Technischen Universität München (TUM) bündeln am Leonhard Obermeyer Center (LOC) ihre breite wissenschaftliche Expertise auf dem Gebiet der Informatik, um mit digitalen Technologien neue Planungswerkzeuge zu kreieren. Die können bei der Bestandsaufnahme, Planung und bauphysikalischen Bewertung von Gebäuden oder von ganzen Stadtquartieren sowie bei umfangreichen Infrastrukturprojekten eingesetzt werden. Richtig genutzt, helfen digitale Modelle auch dabei, die Verständlichkeit zu verbessern sowie Mitwirkung und Akzeptanz der Bürger bei großen Bauprojekten zu unterstützen und somit Planungsprozesse nachhaltig zu gestalten.

Die strukturellen Veränderungen von Städten stellen Planer und Entscheider vor komplexe Aufgaben. Will man Städte zukunftsfähig machen, genügt es nicht, einzelne Bauvorhaben isoliert zu betrachten oder getrennt nach Zuständigkeiten vorzugehen. Um wirklich tragfähige Lösungen zu finden, müssen urbane Räume, deren Supra- und Infrastruktur als Ganzes betrachtet werden. Das bedeutet aber, dass viele verschiedene Aspekte aus ganz unterschiedlichen Fachrichtungen und Interessenslagen einzubeziehen sind. Und nicht zuletzt lassen sich größere Eingriffe in urbane Strukturen – zumindest in demokratischen Gesellschaften – nicht gegen den Bürgerwillen realisieren.

Am Leonhard Obermeyer Center in München arbeiten Wissenschaftler von fünf Lehrstühlen der TU München an mehreren Forschungsprojekten, um Planungs- und Bauprozesse mithilfe von Informations- und Kommunikationstechnologien zu unterstützen. Wesentlicher Faktor für den Erfolg einer integrierten Stadtplanung – da sind sich die Experten am LOC sicher – ist zunächst die Bereitstellung fundierter fachübergreifender Informationen. Daher der Forschungsansatz: Daten aus verschiedenen Quellen sollen informationstechnisch so aufbereitet und harmonisiert werden, dass sich auch komplizierte Sachverhalte in Form von Computersimulationen anschaulich darstellen lassen.

Planungsprozesse visualisieren

Beispiele für die Visualisierung planerischer Überlegungen entstehen im Building Information Modeling Lab (BIM Lab) der TU München, einem der modernsten Labore für digitale Methoden im Bausektor weltweit. Hier arbeiten zwei Doktoranden bei Prof. Dr.-Ing. Frank Petzold, Lehrstuhl für Architekturinformatik, am sogenannten Urban Strategy Playground – USP. Mit diesem Programm lässt sich beispielweise zeigen, in welchem Umfang zusätzlicher Wohnraum in Innenstadtquartieren geschaffen werden könnte, um die starke Zuwanderung in die Metropolen aufzufangen. Frage dabei ist, wie sich eine solche Nachverdichtung auf den Bestand in Stadtquartieren auswirkt. Im BIM Lab lassen sich mögliche Änderungen im Baurecht, etwa die Modifizierung von Bebauungsplänen, in einer räumlichen Projektion darstellen oder als handliches Modell auf einem 3D-Drucker ausgeben. Damit wird sofort klar ersichtlich, welchen Einfluss etwa die Erhöhung der Geschossflächenzahl auf das Bauvolumen haben kann. Das ist ebenso hilfreich für den Planungsprozess wie auch für die Diskussion mit den beteiligten Gruppen.

Energiebedarf einer Stadt ermitteln

Virtuelle 3D-Welten sind auch Grundlage für die Forschungsarbeit am Lehrstuhl für Geoinformation von Prof. Dr. rer. nat. Thomas H. Kolbe. Hier macht man sich zunutze, dass es inzwischen für alle deutschen Städte dreidimensionale Karten gibt und dass außerdem für die rund 60 Millionen Gebäude Datensätze auf den Katasterämtern vorliegen. Miteinander verknüpft lassen sich daraus komplex strukturierte semantische 3D-Stadtmodelle erstellen, die Entscheidungsprozesse visuell unterstützen und faktisch untermauern. Denn es handelt sich bei diesen Modellen nicht allein um dreidimensionale Abbildungen einer „Virtual Reality“ sondern um sichtbar gemachte Datenbanken. Trotz gewaltiger Datenmengen und umfangreicher Rechenoperationen sind die Simulationen für Anwender leicht zu konfigurieren. So kann beispielsweise der theoretische Energiebedarf ganzer Straßenzüge aufgrund der vorhandenen Gebäudedaten überschlägig berechnet werden. Damit ist die Simulation von Einsparpotentialen durch eine EnEV-konforme Gebäudesanierung per Mausklick möglich. Auch Potenziale zur solaren Energieerzeugung können in der virtuellen Stadtlandschaft aufgespürt werden: Anhand der im Datenpool abgelegten Dachformen und Dachneigungen, der Gebäudehöhen und Himmelsrichtungen sind leicht günstige Standorte für Solaranlagen zu finden.

Monitoring von Dachlandschaften

Für das Monitoring von Dachlandschaften nutzen die Wissenschaftler der TU München kamerabestückte Multicopter. © Astrid Eckert / TU Muenchen

Intelligente Beobachter

Am Lehrstuhl für Photogrammetrie und Fernerkundung von Prof. Dr.-Ing. Uwe Stilla laufen mehrere Projekte, die sich mit dem exakten Erfassen von Baukörpern und deren Eigenschaften befassen. So werden zum Beispiel photogrammetrisch aufgenommene 3D-Gebäudemodelle passgenau mit thermografischen Aufnahmen aus Wärmebildkameras überzogen. Durch mehrere Kamerafahrten ist es möglich, die Daten zu überlagern und so die Perspektiven der Gebäudeprojektion zu verändern und dabei auch vorher verdeckte Bauelemente darzustellen. Wärmeverluste werden damit im dreidimensionalen Raum lokalisierbar. Für das räumliche oder thermische Monitoring von Dachlandschaften nutzen die Wissenschaftler kamerabestückte Multicopter, die Thermografien aus luftiger Höhe direkt auf den Institutsrechner senden.

Neben der dreidimensionalen Erfassung von Gebäuden lassen sich auch zeitliche Abläufe sichtbar machen. So können an Multicoptern oder Kränen befestigte Kameras regelmäßig Aufnahmen machen, um beispielsweise den Baufortschritt eines Gebäudes detailgenau in Form von Punktwolken zu dokumentieren.

Tunnel im Blick

An einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt zur Infrastrukturplanung sind die drei Lehrstühle von Prof. Dr. rer. nat. Ernst Rank (Computation in Engineering – Bauinformatik), Prof. Dr. rer. nat. Thomas H. Kolbe (Geoinformation) und Prof. Dr.-Ing. André Borrmann (Computergestützte Modellierung und Simulation) beteiligt. Bei diesem Forschungsvorhaben werden neue Möglichkeiten einer computergestützten Kooperation bei der Planung von U-Bahn-Bauwerken entwickelt. Kern des Projekts ist eine zentrale Kooperationsplattform, auf die Planer verschiedener Disziplinen gleichzeitig zugreifen können. Anders als mit den herkömmlichen zweidimensionalen Zeichnungen, kann ein Tunnelbauwerk auf der Plattform komplett in einem einzigen dreidimensionalen Modell dargestellt werden.

Mithilfe neutraler parametrischer Modelle bleibt die Konsistenz der Daten sicher – gerade auch, wenn auf verschiedenen Ebenen mit unterschiedlichen Detaillierungsgraden gearbeitet wird. Um sowohl geometrische als auch semantische Entitäten zu verknüpfen, wurde ein mehrskaliges Produktmodell zur Beschreibung von Tunnelbauwerken entwickelt. Als Prototyp ließ sich dieses Modell auf Basis zweier verschiedener parametrischer CAD-Systeme (Siemens NX und Autodesk Inventor) validieren.

Weitere Informationen:
Leonhard Obermeyer Center

Lehrstuhl für Architekturinformatik

Lehrstuhl für Computation in Engineering

Lehrstuhl für Computergestützte Modellierung und Simulation

Lehrstuhl für Geoinformatik

Lehrstuhl für Photogrammetrie und Fernerkundung