Editorial

Lehren aus der Pandemie

Liebe Leserin, lieber Leser,

eine Erkenntnis aus der Pandemie lässt sich schon jetzt ziehen: Wir waren auf eine solche Situation nicht gut vorbereitet. Ich korrigiere mich: Wir wurden überrumpelt. Sieht so aus, als würde fast alles, was unseren modernen Lebensstil ausmacht, durch ein Virus infrage gestellt. Durch ein Virus – echt jetzt?

Ja, die Zeiten sind schwierig. Doch sind wir tatsächlich bloß kalt erwischt worden? War vor Corona alles im Grünen Bereich? – Nein, war es nicht!

Prokrastination, so nennen Psychologen das Verhalten, notwendige Aufgaben nicht zu erledigen, sondern immer wieder aufzuschieben – bis der Druck übermächtig wird und es so gar keinen anderen Ausweg mehr gibt, als zu handeln.

Obwohl Krisenszenarien zu möglichen Pandemien längst ausgearbeitet auf dem Tisch lagen, hat das vor Corona kaum jemanden ernsthaft interessiert. Vorsorge ist ja erst mal nicht wirtschaftlich. Und so lange noch nichts passiert ist, sind die gewohnten Verhaltensweisen so schön einfach und bequem. Statt uns auf vorhersehbare (meist menschengemachte) Krisen einzustellen – etwa die Auswirkungen des Klimawandels –, schien das Vertrauen darauf, dass es der freie Markt schon irgendwie richten wird, nahezu grenzenlos.

Im Ergebnis zeigt sich nun, dass der Zwang zur Ökonomisierung in vielen Lebensbereichen zwar einige Leute sehr viel reicher gemacht, die Strukturen des Sozialstaats aber erheblich geschwächt und dabei seltsame kommerzielle Blüten getrieben hat. Solches Wirtschaften bringt letztlich keine reale Wertschöpfung, sondern schadet auf Dauer dem Gemeinwohl, beispielsweise

  • wenn Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge (wie das Gesundheitswesen) statt für die Bürger da zu sein, Renditen abwerfen müssen,
  • wenn es Gewinne verspricht, mit Verschmutzungsrechten zu handeln, statt den CO2-Ausstoß tatsächlich zu reduzieren,
  • wenn Wohnen in Städten und deren Umland zum Luxus wird,
  • wenn der Urlaubs- und Freizeitverkehr mit rund 40 % den größten Anteil am Personenverkehrsaufwand in Deutschland hat und
  • wenn der Bitcoin-Handel so viel Elektrizität verbraucht wie ganz Norwegen.

Die Corona-Krise hat in aller Deutlichkeit gezeigt, wie verletzlich unsere Zivilisation trotz aller moderner Errungenschaften ist. In der vorliegenden Ausgabe 1|2021 ziehen unsere Autoren ein Resumée und versuchen gleichzeitig einen Ausblick darauf, wie urbane Strukturen, Leben und Arbeiten in Städten nachhaltig gestärkt werden könnten. Lesen Sie selbst.

Ihre
Christine Ziegler
Redaktionsleitung „Transforming Cities“