Stadtraum

Umdenken: Leerstände als Chance

Altes Stadtbad Luckenwalde
Beim Workshop im alten Stadtbad wurden mit Methoden des Improvisationstheaters neue Nutzungsansätze ausprobiert. © Chris Danneffel

Wie Städte kreativ mit leer stehenden Produktionsstätten umgehen können, wurde drei Tage lang auf der Leerstandskonferenz in Luckenwalde diskutiert

Eine wandlungserprobte Stadt, ein altes E-Werk und 130 kreative Köpfe: Unter dem Titel „Betreten verboten! Strategien gegen den Leerstand von Produktionsstätten“, hatte die brandenburgische Stadt Luckenwalde zur interdisziplinären Leerstandskonferenz eingeladen. Drei Tage lang wehte frischer Wind nicht nur durch die leerstehenden Produktionsstätten Luckenwaldes, sondern auch durch die Köpfe der Teilnehmer. Was war danach anders? Der Blickwinkel: „Leerstand“, so ein Teilnehmer, „ist eigentlich immer ein Geschenk.“

Leerstand klingt technisch und sachlich. Dass dahinter ein hochemotionales Thema steckt, zeigten die Inhalte der drei Konferenztage. Impulsvorträge, Podiumsrunden – und vor allem viele kreative Beispiele aus Deutschland und Europa verdeutlichten, dass es für den Umgang mit Leerständen auf lange Sicht freilich planerischen Sachverstand braucht – am Beginn aber steht etwas ganz anderes: Umdenken.

„Wir müssen im Kopf aufmachen, um etwas zu verändern“, erklärte Sabine Djahanschah von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Tore Dobberstein, vom Architekturbüro complizen, formulierte es so: „Leerstand ist keine Last, sondern ein Geschenk! Manche Geschenke muss man erst auspacken, drehen, wenden, wie einen alten Pullover, bis man sie richtig nutzen kann.“

Tag 1: Mach ein Bild und erzähl eine Geschichte.

Initiiert, kuratiert und organisiert wurde die Leerstandskonferenz vom Architektur- und Planungsbüro nonconform, das als Spezialist für innovative Lösungen für Leerstand gilt und sich den Aufgaben partizipativ und lustvoll nähert. Einstieg in die Tagung war ein offener Publikumsabend im alten Bahnhofsgebäude Luckenwaldes. Einst selbst unwirtlicher Leerstand, hat dessen Transformation zu einer Vorzeigebibliothek der Stadt den Deutschen Städtebaupreis eingebracht.

Wie vielseitig Wandel sein und wie lange er dauern kann, zeigte der Film „Orte der Arbeit – Der lange Weg zum Neuanfang“, produziert von Hoferichter & Jacobs für den MDR 2017. In einer anschließenden fachlichen Podiumsdiskussion zeigte sich, dass der industrielle Leerstand ein sehr emotional behaftetes Thema ist. Es geht um räumliches Potenzial, aber auch um Eigentumsverhältnisse, um die problematische Ästhetisierung von Leerständen und darum, dass nie nur ein Gebäude, sondern auch Menschen, Geschichte und Gefühle betroffen sind.

Letztlich, so zeigte sich, ist der Blickwinkel eine entscheidende Komponente im Umgang mit Leerständen: „Manchmal muss man Dinge auch schönreden, insbesondere bei der Nachnutzung“, erklärte Luckenwaldes Bauamtsleiter Peter Mann. „Ich versuche immer wieder, Leuten gute Ideen einzureden und das klappt auch manchmal ganz gut.“

Eine ganz praktische Form, um emotionalen Zugang zu Leerstandständen zu schaffen, empfahl Gabriele Dolff- Bonekämper, Kunsthistorikerin und Leiterin des Fachgebiets für Denkmalpflege TU Berlin: „Mach ein Bild und erzähl eine Geschichte dazu.“

nonconform Partnerin und Geschäftsführerin Caren Ohrhallinger erläuterte, dass es bei der Strategieentwicklung von Leerstand nicht nur um künftige Nutzung geht, sondern darum, die besten Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sich Menschen den Ort aneignen können.

Tag 2: Motivation zur Transformation

Mit vielen Bildern und noch mehr Geschichten aus den Bereichen Forschung, Projektentwicklung und Ideenfindung ging es am zweiten Konferenztag um „Zukunft auf dem Land“ und „Kulturwandel der Arbeit“. Deutlich wurde, dass es zu unterscheiden gilt zwischen Leerständen in prosperierenden Städten, die große Nachfrage genießen und Trend-Orte wurden und denen im ländlichen Raum. Letztere werden oft als Symbol für Stagnation wahrgenommen. Dass aus Leerständen im ländlichen Raum in Kombination mit Leidenschaft, Kreativität und Schaffensdrang Entwicklungsmotoren werden können, bewiesen Referenten, Workshop-Leiter und Teilnehmer.

„Die Motivation ist, etwas aufzubauen, das Mehrwert hat“, erklärte etwa Julia Paaß, Initiatorin der Projekte Hof Prädikow und Netzwerk digitales Landleben. Im Zeitenwandel liegen weitere Chancen. Aus dem früheren Schmuddelkind Zwischennutzung – das einst zu sehr an Hausbesetzung erinnerte – sei ein positiv besetzter Begriff geworden, erklärte der Architekt und Publizist Wolfgang Kil: „Heute sind Zwischennutzer Raumpioniere“.

Wie Kreativwirtschaft, Leerstände und Landleben zu einer neuen innovativen Wohn- und Arbeitswelt zusammengebracht werden können, schilderten unter anderem Sabine Gollner von der Künstlerkolonie Fichtelgebirge in Bayern, Matthias Neeff von Destination Wattens in Tirol und Philipp Hentschel mit dem Projekt Kreativorte Brandenburg.

Wichtig, so zeigte sich, ist dabei vor allem die Herangehensweise. „Wir brauchen keine jahrelangen Planungen, sondern Transformation, die sofort startet“, forderte Sabine Djahanschah von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Thomas Drachenberg, Landeskonservator und stellvertretender Direktor des brandenburgischen Landesamts für Denkmalpflege hatte zuvor schon betont: „Entwicklung muss von unten kommen. Mischt man das mit Sachverstand, entsteht etwas.“

Ganz konkret konnten die Teilnehmer bei einem Bottom up-Entwicklungsprozess anpacken. Zwischen Diskussionen und Workshops bot die Stadt Luckenwalde ein praktisches Experimentierfeld und nonconform schuf das passende Setting. So wurde das seit 27 Jahren leerstehende Stadtbad zur Kantine für das Mittagessen umfunktioniert, um anschließend zur Bühne für einen Improvisationstheater-Workshop zu werden, bei dem neue Nutzungsansätze für dieses Denkmal ausprobiert wurden. Auf einem Abendspaziergang stellten die Luckenwalder die Potenziale ihrer Stadt vor, bevor der Tag im Stadttheater ausklang.

Tag 3: Mehr Freiheit und ein neuer Blickwinkel

Mit einem Impuls zum Thema „Baukultur und leerstehende Produktionssstätten“ ging die Leerstandskonferenz in die Zielgerade. Der Vorsitzende der Bundesstiftung Baukultur, Reiner Nagel, prognostizierte eine Epoche der Bestandsentwicklung mit Umbau als Zukunftsthema: „Es kann nicht sein, dass auf rund 1,7 Millionen leerstehende Wohnungen der Neubaubedarf von 1,5 Millionen steht.“ Initiator Roland Gruber von nonconform hatte im Vorfeld schon einen provokativen Wunsch mit auf den Weg gegeben: „Dass für alle Leerstände die Bauverordnungen ausgesetzt und stattdessen eine Experimentierverordnung eingesetzt wird. Das Neudenken von solchen Orten braucht Frischluft und eine Laborphase.“

Für den Beginn eines Transformationsprozesses benötigen Dörfer, Gemeinden, Städte und ihre Leerstände eigentlich nur einen liebevollen Blick, schilderte Turit Fröbe, Gründerin der „Stadtdenkerei“: „Wenn man anfängt, sich in die Details zu vertiefen, kann man auch dem Banalsten etwas abgewinnen.“ Die vermeintlich kleinste, aber wichtigste Veränderung passiere im Kopf.

Welche wichtigen Impulse Kunst in diesem Prozess liefern kann, erläuterte der Künstler Leonhard Müllner. „Künstler in die Kleinstädte reinlocken und die Menschen an etwas schrägen Dingen teilhaben lassen, führt unweigerlich zu einer Bewusstseinsmachung. Die Orte werden für immer Kunstwerke sein.“

Den Abschluss der inhaltsdichten Leerstandskonferenz gab ein Ideen-Feuerwerk. 13 Projektentwickler stellten in knackigen Kurzvorträgen erfolgreiche Leerstandsprojekte vor. Darunter eine Skifabrik, die zu einem Erholungsheim für langzeitbeatmete Kinder wurde. Ein „Workation Retreat“, das auf einem alten Gutshof Leben und Arbeiten neu zusammenbringt oder ein „Balkon Tuning Büro“ für niedrigschwellig umsetzbare Bürger- Ideen. Moderator Wojciech Czaja, Publizist und Buchautor aus Wien, schloss die Konferenz mit dem Résumé: „Es hat sich wieder gezeigt, dass der größte Feind der Veränderung die Gewohnheit ist!“

Fazit der Leerstandskonferenz in Luckenwalde

Mit der Leerstandskonferenz in Luckenwalde brachten die Initiatoren des Architektur- und Planungsbüros nonconform das Format erstmals nach Deutschland. nonconform stammt aus Österreich, hat seit 2016 einen Bürostandort in Berlin und seit 2018 in München. Das Konzept der Leerstandskonferenz wurde 2011 entwickelt. Die Veranstaltung in Luckenwalde war die erste Auflage der Konferenz in Deutschland.

Die letzte dürfte es nicht gewesen sein, wie viele positive Rückmeldungen gezeigt haben und Roland Gruber, Gründer von nonconform und Initiator der Leerstandskonferenz, durchblicken ließ. Luckenwalde hat Spuren hinterlassen: „Es ist toll, an Orten arbeiten zu dürfen, die sich so innovativ, offen und aktiv dem Thema Leerstand stellen. Und es ist schön, mit Impulsen Ideen für Zukunftsprojekte mitgeben zu dürfen“, betonte Gruber zum Abschluss der Konferenz.

Wie fällt die Bilanz der Stadt Luckenwalde nach drei Tagen Leerstandskonferenz aus? „Ich hatte mir Geistesblitze gewünscht“, sagte Bürgermeisterin Elisabeth Herzog-von der Heide. „Doch das war viel zu kurz gesprungen. Hier gab es nicht nur Diskussionen, sondern Ideen, ausgeformte Konzepte und erfolgreiche Projekte von 130 Köpfen. Danke!“.


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