Die Region Rhein-Main-Neckar hat großes Potenzial, die Herausforderungen der dringend notwendigen Verkehrswende durch die Unterstützung zahlreicher regionaler Akteure zu meistern. Das ist das Ergebnis einer Studie, die im Auftrag des ENTEGA NATURpur Instituts vom ifeu – Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg und dem ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung Frankfurt am Main durchgeführt wurde.
Der Verkehrssektor trägt etwa 25 Prozent zu den Treibhausgasemissionen Deutschlands bei, notwendige Minderungen sind bislang kaum erfolgt. Zur Erreichung der Klimaziele ist deshalb in den nächsten Jahren ein breites Engagement von Akteuren auf allen Ebenen notwendig, um grundlegende Änderungen umzusetzen – von der Antriebswende über multimodale Mobilitätsangebote bis hin zu Veränderungen im Mobilitätsverhalten. Der regulative und fiskalische Rahmen dafür wird zwar auf der EU-, Bundes- oder Landesebene bestimmt, doch auch auf regionaler Ebene gibt es zahlreiche Einflussmöglichkeiten, die für ein Gelingen der Verkehrswende, also der Kombination aus Mobilitätswende und Antriebswende, zentral sind.
In der jüngst veröffentlichten Mobilitätsstudie haben das ifeu und das ISOE untersucht, welchen Beitrag Akteure in der Region Rhein-Main-Neckar für eine erfolgreiche Verkehrswende leisten können. Hierfür ermittelte das Forschungsteam sowohl Rahmenbedingungen als auch Handlungsansätze und konkrete Beispiele für lokale Akteure. Für die Untersuchung der Einflussfaktoren auf die Mobilität und den Verkehr vor Ort sowie der vorhandenen Barrieren und Potenziale für eine erfolgreiche Mobilitätswende wurden leitende Personen von 42 Institutionen und Unternehmen der Region aus Kommunalpolitik, kommunaler Verwaltung, Privatwirtschaft, Forschung und Entwicklung sowie Zivilgesellschaft befragt. Zudem wurde eine für die Region repräsentative Bevölkerungsbefragung mit über 1.000 Personen durchgeführt.
Empfehlung für Akteure: Kombinierte Mobilitätsangebote ausbauen
„Die Gespräche mit Akteuren aus Wirtschaft, Verwaltung, Politik und Zivilgesellschaft zeigten, dass Elektromobilität als ein wichtiges Element für eine klimaschonende Fortbewegung gesehen wird und hier auch schon viele Aktivitäten in der Region stattfinden“, sagt Studienleiter Udo Lambrecht vom ifeu-Institut. „Doch sind weitere Bausteine für eine Verkehrswende unbedingt zu berücksichtigen und miteinander als optional nutzbares Angebot zu verknüpfen, um die verschiedenen Mobilitätsbedürfnisse der Bevölkerung bestmöglich mit unterschiedlichen umweltweltfreundlichen Verkehrsmitteln abzudecken. Neben dem städtischen Bereich muss hier insbesondere der ländliche Bereich stärker in den Fokus genommen werden. So kann eine Verkehrswende gelingen.“
Aus Sicht des Forschungsteams ist für den Umstieg auf miteinander vernetzte Verkehrsmittel zudem noch Überzeugungsarbeit zu leisten. „Die Bevölkerungsbefragung zeigt eine weiterhin starke Orientierung am Auto, wobei sich die meisten Befragten noch nicht eingehend mit dem Thema Elektromobilität auseinandergesetzt haben“, berichtet ISOE-Mobilitätsexpertin Jutta Deffner. Nach wie vor sei das eigene Auto das Verkehrsmittel, das am häufigsten genutzt wird (53 Prozent), gefolgt vom Fahrrad mit 24 Prozent. Alternative Mobilitätsoptionen müssten deshalb für Zuverlässigkeit und Unabhängigkeit stehen, und sie müssten Spaß machen, damit Menschen sie in ihren Alltag integrieren. „Alle Akteure in der Region Südhessen müssen gemeinsam viel stärker an kombinierten Mobilitätsangeboten arbeiten“, sagt Deffner, „denn die Befragung hat auch gezeigt, dass mehr als ein Viertel der Bevölkerung einen Verkehrsmittelmix, also eine multimodale Mobilität, attraktiv findet und diese gerne viel öfter praktizieren würde. Dafür müssen Gelegenheiten geschaffen werden, aus denen Routinen werden können.“
Studie zur Verkehrswende in der Region Rhein-Main-Neckar
Die Studie wurde im Auftrag des ENTEGA NATURpur Instituts vom ifeu – Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg und dem ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung, Frankfurt am Main, durchgeführt. Für die Untersuchung wurde im Zeitraum von knapp zwei Jahren zunächst der Status quo der Verkehrswende in der Region um die Städte Darmstadt, Heppenheim und Höchst im Odenwald sowie Odenwaldkreis, große Teile der Landkreise Darmstadt-Dieburg, Groß-Gerau, Bergstraße und Offenbach sowie wenige Kommunen bzw. Teile von Kommunen im Rhein-Neckar-Kreis im Neckartal erfasst. Dazu wertete das interdisziplinäre Forscherteam zwischen 2021 und 2022 statistische Daten, Medienberichte und Fachliteratur aus und führte Experteninterviews mit regionalen Entscheidungsträgern aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung, kommunalen Unternehmen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft.
Bausteine für eine multimodale und klimaschonende Mobilität
In der Studie „Bausteine für eine multimodale und klimaschonende Mobilität – was Akteure in der Region Rhein-Main-Neckar tun können“ wurden die sechs Themenfelder E-Mobilität und Ladeinfrastruktur, Carsharing, Radmobilität, öffentlicher Personennahverkehr, Nutzfahrzeuge sowie Governance/Regionalpolitik untersucht. Auf Basis der Stakeholder-Interviews und der Bevölkerungsbefragung erarbeitete das Forschungsteam strategische Handlungsempfehlungen für die regionalen Akteure. Diese umfassen sechs aufeinander aufbauende und ineinandergreifende, für die regionale Verkehrswende zentrale Themenfelder: Rahmenbedingungen, öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV), Multimodalität, Elektromobilität, Rad- und Fußverkehr sowie Kommunikation. Als Ergebnis der Studie wurden bedarfsorientierte Handlungsempfehlungen formuliert, die an die regionalen Gegebenheiten der urbanen, suburbanen und ländlichen Gebiete der Betrachtungsregion Rhein-Main-Neckar angepasst sind.
Zentrale Handlungsempfehlungen der Studie
Die Handlungsempfehlungen setzen – soweit wie möglich – auf bereits in der Region laufende Aktivitäten auf. Zentrale Ergebnisse sind:
- Rahmenbedingungen für die Verkehrswende schaffen durch Ziele und konkrete Umsetzungspläne: Konkrete Ziele und Strategien sollten in Mobilitätsleitbildern und -plänen verankert werden. Zudem sollten zielgerichtete Push- und Pull-Faktoren (Anreize und Regulierungen) für die Verkehrswende eingesetzt werden. Für Fachthemen müssen angemessene personelle Kapazitäten vorhanden sein.
- Durch zielgruppenorientierte Kommunikation und lokale Kooperationen Hürden abbauen: Herausfordernde Projekte können in regionalen Mobilitätskooperationen einfacher umgesetzt werden, außerdem kann die Beteiligung von Bürger*innen an Mobilitätsplanungen die Akzeptanz und Attraktivität entsprechender Maßnahmen erhöhen und zu neuen Ideen führen. Neue Mobilitätsangebote haben mit zielgruppenangepasster Öffentlichkeitsarbeit mehr Chancen darauf, erfolgreich zu sein. Für gemeinsame Projekte sind Kooperationen zwischen Kommunen essenziell.
- Elektromobilität für PKW und LKW weiterentwickeln und ausbauen: Der Ausbau öffentlicher und privater Ladeinfrastruktur muss verstärkt werden. Für eine umfassende Durchdringung mit E-Carsharing müssen Geschäftsmodelle für eine einfache Nutzung verfügbar sein, zum Beispiel mit Stellflächen im Wohnquartier, der Einbindung in das Betriebliche Mobilitätsmanagement oder Ankernutzungskonzepten für gewerbliches E-Carsharing. Zudem kann die Elektrifizierung im urbanen und regionalen Güterverkehr zeitnah umgesetzt werden – und so der erste Schritt zur Antriebswende in der Logistik sein.
- Mit attraktiven multimodalen Angeboten einen Umstieg auf den Umweltverbund, also den Fuß-, Rad- und öffentlichen Personen(nah)verkehr, ermöglichen: Die Verkehrswende erfordert die Kombination von umweltfreundlichen Fortbewegungsformen (z.B. Bus-, Bahn-, Fahrrad-, Fußverkehr und Carsharing) – auch in Randzeiten und dünner besiedelten Gebieten. Für die Nutzung multimodaler Mobilitätsangebote sollten bestehende digitale Dienstleistungen ausgebaut und kombiniert werden. Außerdem können durch Implementieren eines betrieblichen Mobilitätsmanagements bei Kommunen und Unternehmen Emissionen reduziert und Mobilitätsroutinen verändert werden.
- Den öffentlichen Personennahverkehr als Grundpfeiler der Verkehrswende etablieren: Für eine bessere Erreichbarkeit, Verfügbarkeit und Taktung des ÖPNV ist ein Infrastruktur-Ausbau zwingend notwendig. Zudem erlaubt ein einheitliches Tarifsystem über Verbundgrenzen hinweg eine kundenfreundliche und einfachere Nutzung. Für spezifische Zielgruppen sowie Randzeiten und -bereiche sollten entsprechende Angebote eine flächendeckende Anbindung ermöglichen.
- Durch gut ausgebaute Infrastruktur einen sicheren Rad- und Fußverkehr schaffen: Eine sozial gerechte Mobilität beruht auf einer sicheren und gut auf- und ausgebauten Rad- und Fußverkehrsinfrastruktur. So müssen zur Nutzung von multimodalen Angeboten auch Verknüpfungspunkte auf- und ausgebaut werden. Die Verstetigung von Rad- und Fußmobilität beruht auf einer Vorrangberechtigung für diese Fortbewegungsarten.
Originalpublikation:
Lambrecht, Udo/Bernhard Bruch/Heike Oehler/Hinrich Helms/Jutta Deffner/Georg Sunderer (2023): Bausteine für eine multimodale und klimaschonende Mobilität. Was Akteure in der Region Rhein-Main-Neckar tun können. Heidelberg/Frankfurt am Main: ifeu – Institut für Energie- und Umweltforschung/ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung.
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