Autobahnen, Eisenbahntrassen oder Höchstspannungsleitungen – große öffentliche Infrastrukturprojekte greifen in hohem Maße in die Umwelt und in die Rechte von Grundeigentümern ein. Deshalb verlangt das Recht seit vielen Jahrzehnten, dass der öffentliche Bedarf zunächst zu prüfen und nachzuweisen ist, bevor über die Realisierung entschieden werden kann. Doch entspricht die derzeitige Praxis der Bedarfsprüfung den Anforderungen an eine wirksame Integration des Umweltschutzes? Falls nicht, was ist zu tun? Diesen Fragen gingen Umweltjuristen von UFZ und Universität Leipzig im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA) auf den Grund.
Öffentliche Vorhaben unterliegen in der Regel einer Bedarfsprüfung, die bei großen Infrastrukturvorhaben häufig der erste Planungsschritt innerhalb eines gestuften Planungsprozesses ist. Die Entscheidung über ein „Brauchen wir das?“ ist somit die Voraussetzung, um in die weitere Planung eintreten zu können. Doch ist die Prüfung des Bedarfes vor dem Hintergrund des Wunsches nach Verkürzung von Planungszeiten für Infrastrukturprojekte überhaupt noch sinnvoll? Werden bei der Prüfung bislang die Aspekte des Umweltschutzes ausreichend berücksichtigt? Was sollte bei der Bedarfsprüfung verändert und neu gestaltet werden?
UFZ-Projektleiter Prof. Wolfgang Köck ist sich nach Abschluss des Projektes sicher: „Die Prüfung und der Nachweis eines Bedarfs ist bei öffentlichen Projekten nach wie vor ein sinnvoller und wichtiger Planungsschritt, an dem festgehalten werden sollte.“ Allerdings wäre es sinnvoll, wenn künftig die Vereinbarkeit von Infrastrukturentwicklung und Umweltzielen schon im Stadium der Bedarfsprüfung eine größere Rolle spielen würde, als dies bislang der Fall ist. Denn die Anerkennung eines Infrastrukturbedarfs muss sich gerade auch vor dem Staatsziel Umweltschutz rechtfertigen. In diesem Zusammenhang kommt insbesondere der Prüfung umweltschonender Alternativen eine große Bedeutung zu. „Es sollte nur ein solches Bedürfnis als Bedarf anerkannt werden, das sich im Einklang mit Umweltqualitätszielen befindet, so weit diese konkret formuliert und von politischen Entscheidungsträgern beschlossen wurden“, ergänzt UFZ-Umweltjuristin Dr. Jana Bovet, die das Projekt koordiniert hat.
Zudem müssten Unsicherheiten in der Bedarfsprognose offenlegt werden, sagen die Forscher. Denn nur dann, wenn Informationen über Unsicherheiten und deren Grad generiert worden sind, kann entschieden werden, ob ein angemessenes Verhältnis zu den erwarteten Eingriffen besteht. Je unsicherer und unwahrscheinlicher der „Erfolg“, desto weniger vermag er Umwelteingriffe zu rechtfertigen. Die Anforderung, Unsicherheiten offenzulegen und näher zu beschreiben, könnte etwa dadurch eingelöst werden, dass der Gesetzgeber entsprechende Vorgaben für die Bedürfnisprognose macht, wie dies bei der Planung für die Stromübertragungsleitungen geschehen ist. Hier ist den Planern auferlegt worden, mindestens drei Entwicklungsszenarien zu erarbeiten und damit drei unterschiedliche Grundannahmen künftiger Entwicklungen in die Überlegungen einzubeziehen. Diese Szenarienbildung ist auch geeignet, nachhaltige Entwicklungspfade für den Optionenraum bewusst zu machen und Konzeptalternativen bei der Prognoseerstellung zu berücksichtigen und „durchzuspielen“.
Nicht zuletzt erscheint es den Umweltjuristen notwendig, eine wirksame Kontrolle der Bedarfsprüfung einzuführen. Dies könnte ihrer Meinung nach auf verschiedene Weise geschehen. Denkbar wäre, eine unabhängige, sachverständige Behörde einzubeziehen, die zu prüfen hat, ob die Bedürfnisprognose fach- und sachgerecht durchgeführt worden ist. Für eine solche Prüfung bieten sich wegen der Betroffenheit der öffentlichen Haushalte bei Infrastrukturentscheidungen die Rechnungshöfe an, deren Stellungnahme als Voraussetzung für die Bedarfsfeststellung eingeführt werden könnte. Dies würde helfen, zeitnah Fehler in der Bedürfnisprüfung zu erkennen und zu beheben. Auch ein sogenannter „phasenspezifischer Rechtsschutz“ – also die Ermöglichung einer separaten gerichtlichen Überprüfbarkeit der behördlichen Bedarfsprüfungsentscheidung – könnte helfen, die Kontrolle zu verbessern. Die Forscherinnen und Forscher weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Akzeptanz von großen Infrastrukturprojekten wächst, wenn die Frage nach dem „Brauchen wir das?“ überzeugend beantwortet wird. Dazu gehören die Berücksichtigung der Umweltfolgen und die effektive Kontrolle der Bedürfnisermittlung und Bedarfsbewertung.
Publikationen:
Köck, W., Bovet, J., Fischer H., Ludwig G., Möckel, S., Faßbender, K. (2017): Das Instrument der Bedarfsplanung – Rechtliche Möglichkeiten für und verfahrensrechtliche Anforderungen an ein Instrument für mehr Umweltschutz, Forschungsvorhaben im Auftrag des Umweltbundesamts, 360 Seiten: Das Instrument der Bedarfsplanung
Köck, W. (2016): Die Bedarfsplanung im Infrastrukturrecht – Über rechtliche Möglichkeiten der Stärkung des Umweltschutzes bei der Bedarfsfeststellung, in: Zeitschrift für Umweltrecht 27 (2016), S. 579-590.
Ludwig, G. (2017): Die Kontrolle von Bedarfsplanungen im Infrastrukturrecht – Überlegungen zur Ausweitung von gerichtlichen und außergerichtlichen Überprüfungsmöglichkeiten – (ZUR) 2017, S. 68-74.