„Keime und Viren können sich auch über Oberflächen- und Grundwasser verbreiten und unter ungünstigen Bedingungen das Rohwasser von Trinkwasser-Förderbrunnen erreichen“, sagt Prof. Dr. Irina Engelhardt, die das Fachgebiet Hydrogeologie an der TU Berlin leitet. „Sie gelangen durch Ausscheidungen von Menschen und Tieren ins Abwasser und damit in die Oberflächengewässer.“ Besonders Flüsse in Ballungsgebieten seien gefährdet.
Um Risiken für die Wasserqualität einschätzen zu können und Trinkwasserversorgern mehr Entscheidungshilfen zu geben, wann ein Risikofall vorliegt, erforscht sie mit ihrem Team das Transportverhalten verschiedener Viren- und Bakterienarten im Grundwasser. Die zentrale Frage ist dabei: Wie lange und unter welchen Bedingungen bleiben Viren im Grundwasser aktiv und in welcher Konzentration könnten sie ins Rohwasser gelangen? Studien haben gezeigt, dass Kläranlagen Viren oft nur unzureichend entfernen können, so dass sie zum Beispiel im Rhein gemessen wurden. Unter günstigen Umweltbedingungen ist das Rückhaltevermögen des Untergrunds jedoch hoch genug und in Kombination mit effektiver Trinkwasseraufbereitung ist es sehr unwahrscheinlich, dass pathogene Mengen an Viren bis in das Trinkwasser gelangen.
Humanpathogene Viren, also Viren, die Menschen infizieren, können verschiedene gefährliche Krankheiten wie Atemwegserkrankungen oder Bindehautentzündungen auslösen. Ein potenzieller Infektionspfad kann die Nutzung von verunreinigtem Grund- oder Flusswasser für Trinkwasserzwecke sein. „Wir wollen unter anderem ein Simulationsmodell entwickeln und damit ein modernes Werkzeug, das es ermöglicht, den Transport von Viren im Untergrund und das Risiko für Trinkwasserfassungen durch Uferfiltration abzuschätzen“, erklärt Irina Engelhardt das Ziel des Projekts „Transport von Viren bei der Uferfiltration“, das von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt finanziert und zusammen mit der Universität Wien und Praxispartnern wie den Stadtwerken Düsseldorf und der Firma VisDat Geodatentechnologie GmbH durchgeführt wird.
Auch Viren können über den Menschen zunächst ins Abwasser und damit in das Grundwasser gelangen
Viren und Bakterien aus Ausscheidungen von Menschen und Tieren im Abwasser, gelangen über den Abfluss von Kläranlagen oder die Aufbringung von Gülle auf Felder in die Umwelt. Über Oberflächenabfluss oder Flusswasserinfiltration können sie schließlich ins Grundwasser migrieren. „Der Transport von Viren im Grundwasser ist dann von vielen Faktoren abhängig, unter anderem von Sauerstoffgehalt und Temperatur des Wassers sowie von der Strömungsgeschwindigkeit des Grundwassers“, so Irina Engelhardt. „Für den Rückhalt erwartbar ungünstig wäre beispielsweise ein sommerliches Hochwasserereignis im Fluss in Kombination mit sauerstofffreien Bedingungen im Grundwasserleiter.“ Besonders Flüsse in Ballungsgebieten wie der Rhein im Ruhrgebiet oder die Spree in Berlin seien mit Abwasser belastet, wobei sich die Situation durch ausbleibende Niederschläge und niedrige Pegelstände der Flüsse nochmal verschlechtere.
Durch den langen Weg, den das Wasser vom Fluss zum Brunnen durch den Untergrund zurücklegt, wird eine Kontamination sehr viel unwahrscheinlicher
Aus den Oberflächengewässern wird, wie in Berlin und vielerorts in Deutschland, Trinkwasser durch Uferfiltration gewonnen. Bei dieser Methode werden Brunnen zur Grundwasserentnahme in der Nähe von Flüssen oder Seen platziert, wie am Wasserwerk Jungfernheide. Das geförderte Grundwasser besteht dann zu einem hohen Anteil aus sogenanntem Uferfiltrat. Das ist Wasser, das aus dem Fluss kommend den ufernahen Untergrund passiert hat und dem Brunnen zuströmt. „Durch die Nähe zu den Flüssen ist diese Methode der Trinkwassergewinnung besonders anfällig für Kontaminationen, zum Beispiel durch Pathogene, also krankmachende Keime und Viren“, so Irina Engelhardt. Auch das neue Corona-Virus kommt in den Fäkalien von Menschen vor, sogar nachdem es schon in den Atemwegen nicht mehr nachweisbar ist. Sie könnten also über den Abwasser-Fluss-Grundwasser-Pfad potenziell auch im Rohwasser der Förderbrunnen landen. „Bei den meisten Trinkwassergewinnungsanlagen mittels Uferfiltration, beträgt die Durchflusszeit zwischen Fluss oder See und Förderbrunnen allerdings ein bis zwei Monate“, so die Hydrogeologie-Expertin Irina Engelhardt. „In der Regel sind die Virenkonzentrationen unter natürlichen Bedingungen nach dieser Zeit jedoch schon sehr gering, sodass keine Gefahr einer Trinkwasserverunreinigung besteht.“
Viren werden am Untergrund festgehalten und durch biologische Prozesse zerstört – doch manche „schlafen“ nur
„Teil unseres Projekts ist es, das Transportverhalten dieser Pathogene im Grundwasser, das noch unzureichend bekannt ist, weiter aufzuklären. Wir wissen, dass die Virenanzahl im Grundwasser mit der Zeit abnimmt. Sie werden am Untergrundmaterial zurückgehalten und durch verschiedene bio- und geochemische Prozesse zerstört. Dennoch können sie über mehrere Monate, vielleicht sogar Jahre, am Untergrundmaterial anhaften und weiterhin infektiös, quasi ‚schlafend‘ verweilen.“ Experimente zeigten, dass ohne einen erneuten Eintrag durch Flusswasser, Viren nach einiger Zeit im Grundwasser wieder identifiziert werden könnten. Sie lösten sich also wieder vom Untergrundmaterial ab. Untergrund und Uferfiltrationsstrecke vom Fluss zum Entnahmebrunnen besitzen also ein gewisses Rückhaltepotenzial für Viren und andere Keime, doch dieses, so die Forscherin, zeige Unterschiede für verschiedene Arten von Viren und Keimen. Daher könnten einzelne Indikatoren nur eingeschränkte Hinweise für einen generellen Kontaminationsfall geben. Die relevanten Fragen bei einer Risikobeurteilung für eine Uferfiltrationsanlage seien entsprechend: Wie hoch ist die Virenbelastung im Oberflächengewässer? Wie hoch ist das Rückhaltepotenzial der Uferfiltrationsstrecke, wie stark nimmt also die Konzentration beim Transport im Grundwasser ab? Welche Parameter müssen besonders aufmerksam beobachtet werden und welche Umweltsituation ist besonders kritisch? Vorhersagen und Modelle seien derzeit auf Grund der Komplexität der Prozesse noch mit einer hohen Unsicherheit behaftet.
Laborexperimente mit Uferfiltraten und Entwicklung eines Simulationsmodells
Um den Virentransport unter „quasi in-situ“ Bedingungen auf der natürlichen Feldskala zu untersuchen, wurden im Projekt ein Jahr lang Grundwasserproben zwischen Rhein und dem Wasserwerk Flehe, Düsseldorf, genommen und unter anderem auf Adenoviren untersucht. Ergänzende Laborexperimente untersuchten den Einfluss der Temperatur, der Redox-Bedingungen und der Sättigung auf den Virentransport unter kontrollierten Laborbedingungen. Erste Ergebnisse zeigen, dass Viren im Rhein zwar messbar sind, jedoch nur in geringen Konzentrationen, und dass das Rückhaltevermögen des Untergrunds gegen Viren dafür hoch genug ist. Aktuell wird der Transport von Viren mittels numerischer reaktiver Transportmodelle analysiert. Diese komplexen Modelle werden mit Sensitivitäts- und Unsicherheitsanalysen auf Schlüsselparameter- und -prozesse untersucht und dann mit Hilfe moderner mathematischer Verfahren in einem Surrogat-Modell vereinfacht. Dieses Surrogat-Modell wird dann in eine anwenderfreundliche Toolbox eingebaut, welche Anwendern aus der Praxis, wie Wasserwerkbetreibern, als Entscheidungshilfe dienen soll. Die Toolbox ermöglicht über ein anwenderfreundliches Interface den Transport von Viren, das Rückhaltepotenzial im Grundwasser und das Risiko für das Rohwasser bei der Uferfiltration abzuschätzen, ohne selbst komplexe Modellierungen durchführen zu müssen.
„Da immer noch viele Fragen über den Transport von Viren im Grundwasser offen sind, lassen sich derzeit mögliche Gefährdungen noch schwer im Detail abschätzen“, so Irina Engelhardt schließlich. „Jedoch ist der Ausbreitungspfad über das Grund- und damit in das Rohwasser für den neuartigen Corona-Virus eher von sehr geringer Bedeutung.“ In jedem Fall sei es auch für die Trinkwasserhygiene sinnvoll, die Anzahl der gleichzeitig Infizierten gering zu halten. „Ich empfehle die Strategie: flatten the curve.“
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