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Urbane Landwirtschaft: Schlüsselfunktion für stabile Nahrungsversorgung

Urbane Landwirtschaft
Urbane Agrarproduktion: Schematische Darstellung der SUSKULT-Vision. © Fraunhofer UMSICHT/Sandra Riedel

Abschlusskommuniqué des GFFA 2021: Wissenschaft nennt weitere Handlungsbedarfe für zukunftsfähige Systeme in der Landwirtschaft

In einem gemeinsamen Statement kommentieren Wissenschaftler*innen aus unterschiedlichen Disziplinen das Abschlusskommuniqué der 13. Berliner Agrarministerkonferenz (GFFA). Mit ihren Standpunkten liefern sie Denkanstöße zur intersektoralen Zusammenarbeit, zu urbanen Ernährungssystemen und kreislaufbasierter Landwirtschaft.

Am 22. Januar 2021 trafen sich die Landwirtschaftsminister*innen aus 76 Ländern im Rahmen der 13. Berliner Agrarministerkonferenz (Global Forum for Food and Agriculture GFFA). Gemeinsam mit Expert*innen aus Politik, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Wirtschaft berieten sie, wie die Landwirtschaft trotz Pandemien und Klimawandel langfristig die Menschheit sicher, nachhaltig und ausgewogen ernähren kann. Das Ergebnis des GFFA ist ein gemeinsam verabschiedetes Abschlusskommuniqué. Das Kommuniqué diskutiert u. a. Reaktionen und Lehren aus der COVID-19-Pandemie für den Lebensmittel- und Agrarsektor und widmet sich dem Klimaschutz und der Anpassung an den Klimawandel. Ein weiterer zentraler Punkt ist die Bedeutung von Klimaschutzmaßnahmen entlang der Wertschöpfungskette vom Acker in den Handel.

In ihrem Statement begrüßen Wissenschaftler*innen aus dem Konsortium des Projekts SUSKULT die im GFFA-Abschlusskommuniqué formulierten Ziele. Gleichzeitig weisen sie auf Handlungsbedarfe und weitere Optionen für eine nachhaltige und zukunftsfähige Ausgestaltung von Agrarsystemen hin.

Urbane Landwirtschaft mit Schlüsselfunktion

Vorhersagen gehen davon aus, dass im Jahr 2050 66 Prozent der weltweiten Bevölkerung in Städten leben werden. Die nachhaltige Versorgung mit Lebensmitteln ist eine entsprechend große Herausforderung der nächsten Jahrzehnte. Nach aktuellem Forschungsstand wird die urbane Landwirtschaft eine Schlüsselfunktion für eine stabile Nahrungsversorgung von Städten spielen. „Aus der Perspektive der Verbraucher*innen spielen zudem bereits heute neue Werte wie Vertrauen und Nähe, Gesundheit, Nachhaltigkeit und Fairness eine immer größere Rolle“, erklärt Volkmar Keuter, Leiter der Abteilung Umwelt und Ressourcennutzung am Fraunhofer UMSICHT und Koordinator des Forschungsprojekts SUSKULT.

Hier soll eine Demonstrationsanlage entstehen: Klärwerk Emschermündung an der Stadtgrenze zwischen Dinslaken, Oberhausen und Duisburg. © EGLV Rupert Oberhäuser

In ihrem Statement begrüßen die Autor*innen den Ansatz des GFFA, Nährstoffe in der Agrarwirtschaft effizient zu verwenden. Gleichzeitig weisen sie auf das enorme Potenzial der Wasserwiederverwendung und Nährstoffrückgewinnung aus Abwasser für die kreislaufbasierte landwirtschaftliche Produktion hin. „Phosphor ist eine endliche Ressource, die Herstellung von Stickstoffdünger ist sehr energieintensiv. Vor diesem Hintergrund gilt es, Verfahren der Nährstoffrückgewinnung aus Abwasser zu stärken“, erklärt Volkmar Keuter.

Das GFFA-Abschlusskommuniqué betont die Notwendigkeit, verantwortungsbewusste Investitionen in ländliche Regionen und ländliche Infrastruktur fortzuführen und zu verstärken. Die Autor*innen erachten auch dieses Vorgehen als zielführend, merken jedoch an, dass die Potenziale der urbanen Landwirtschaft nicht genügend ausgeschöpft werden. Sie verweisen auf die Ergebnisse des 8. Berliner Agrarministergipfels im Jahr 2016, die besagen, dass die Potenziale ländlicher und urbaner Lebensmittelproduktion gleichermaßen intensiv zu fördern sind. Ein positives Beispiel sei der City Region Food Systems (CRFS)-Ansatz der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO). CRFS ermöglichten die gezielte Berücksichtigung ökonomischer, ökologischer und sozialer Kontextbedingungen und bereiteten nachhaltigen und kreislaufbasierten urbanen Ernährungssystemen den Weg. „Projekte in Pilotstädten wie Toronto, Utrecht oder Quito zeigen bereits heute, wie dichtbesiedelte Metropolregionen urbane Produktionssysteme erfolgreich einsetzen“, so Volkmar Keuter.

In ihrem dritten Standpunkt gehen die Autor*innen auf die Intensivierung der intersektoralen Zusammenarbeit ein. Sie gehen davon aus, dass zukünftig die Verknüpfung verschiedener Wirtschaftszweige eine stärkere Bedeutung für die Lebensmittel- und Agrarbranche haben wird. „Des Weiteren müsse die interministerielle Zusammenarbeit insbesondere vor dem Hintergrund der komplexen und Sektoren verknüpfenden Herausforderungen noch weiter intensiviert werden“, ergänzt Dr. Sandra Schwindenhammer, Postdoktorandin am Institut für Politikwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen und stellvertretende Koordinatorin von SUSKULT.

Weitere Informationen:
Statement zum Abschluss-Kommuniqué des GFFA 2021


Über das Projekt SUSKULT
SUSKULT ist ein auf Hydroponik basierendes innovatives Nahrungsmittelproduktionssystem, bei dem die Pflanzen im Rahmen einer Indoor-Kultivierung boden- bzw. erdelos unter Einsatz mineralischer Nährstofflösungen wachsen und gedeihen. Dieses System ermöglicht eine exakte Steuerung der Wasser- und Nährstoffversorgung von gartenbaulichen Kulturen. Die dafür benötigten Ressourcen Kohlenstoffdioxid, Phosphor, Kalium und Stickstoff sowie Wärme und Wasser bezieht SUSKULT aus einer Kläranlage. Ein interdisziplinäres Konsortium entwickelt ein entsprechendes Bausteinsystem zur Andockung der agrarwirtschaftlichen Produktion an Kläranlagen. Das Ergebnis soll regional angebautes, qualitativ hochwertiges Gemüse sein. Doch nicht nur die technischen Herausforderungen stehen im Fokus des Forschungsprojekts. Um die Gemeinwohlziele zu berücksichtigen, müssen das öffentliche Interesse berücksichtigt werden und die Möglichkeit der Einflussnahme von Bürger*innen gegeben sein. Des Weiteren sind Transparenz und Kontrollmechanismen der politischen Prozesse vonnöten.


Über die Autor*innen des Statements

  • Dipl.-Ing. Volkmar Keuter leitet die Abteilung Umwelt und Ressourcennutzung am Fraunhofer-Institut UMSICHT in Oberhausen. Er ist Koordinator des Forschungsprojekts SUSKULT.
  • Dr. rer. pol. Sandra Schwindenhammer ist Postdoktorandin am Institut für Politikwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen. Sie ist stellvertretende Koordinatorin des Forschungsprojekts SUSKULT, leitet das Teilprojekt 4 „Umfeld- und Systemanalyse“ und ist Sprecherin des Arbeitskreises Umweltpolitik und Global Change der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft.
  • Prof. Dr.-Ing. Heidrun Steinmetz ist Leiterin des Fachgebietes Ressourceneffiziente Abwasserbehandlung der TU Kaiserslautern und leitet im Forschungsprojekt SUSKULT das Teilprojekt 1 „NEWtrient®-Center“.
  • Prof. Dr. Dipl.-Ing. agr. Andreas Ulbrich hält die Professur für Gemüsebau und -verarbeitung an der Hochschule Osnabrück und leitet im Forschungsprojekt SUSKULT das Teilprojekt 3 „Nahrungsmittelproduktion“.