Im Jahr 2050 könnte jede vierte Stadt weltweit von Wasserknappheit betroffen sein – das ist das Ergebnis einer umfassenden Simulation, die Wissenschaftler des Center for Environmental Systems Research (CESR) an der Universität Kassel durchgeführt haben. Dadurch erhöhe sich das Risiko von Konflikten zwischen Stadt und Land. Zugleich stellten die Expertinnen und Experten fest: Würde man die Effizienz der Wasserversorgung um nur 10 Prozent erhöhen, könnte man Wassermangel in 80 Prozent jener Gebiete vermeiden, die das Wasser für die Großstädte liefern. In der Studie untersuchten die Kasseler Wissenschaftler das Zusammenspiel von Urbanisierung und Klimawandel und zeigten die Auswirkungen auf die urbane Wasserversorgung. Sie berücksichtigte in bislang unerreichtem Maßstab weiträumige Wassertransfers – vor allem von ländlichen Gebieten in Großstädte – ebenso wie den Zustand der Infrastruktur, etwa von Wasserleitungen.
Weltweit schreitet die Verstädterung voran. 54 Prozent der Weltbevölkerung leben heute in Städten, das sind rund 3,9 Milliarden Menschen. „Bis zum Jahr 2030 ist mit einer zusätzlichen Stadtbevölkerung von 2 Milliarden Menschen zu rechnen“, sagt Dr. Martina Flörke, die für die kürzlich veröffentlichte Studie in der Erstausgabe der Fachzeitschrift „Nature Sustainability“ federführend war. Oft beziehen große Städte ihr Wasser über Fernleitungen aus dem nahen, aber auch dem fernen Umland. Mit einer wachsenden Stadtbevölkerung erhöht sich der Wasserbedarf für alltägliche Aktivitäten wie Trinken, Baden, Kleidungwaschen, Geschirrspülen oder den Toilettengang. Aktuellen Schätzungen zufolge wird der urbane Wasserbedarf unter den zur Berechnung zugrunde gelegten Annahmen für die zukünftige Entwicklung von Stadtbevölkerung um 50 bis 250 Prozent ansteigen.
Hinzu kommt, dass Mitte des Jahrhunderts die Auswirkungen des Klimawandels deutlich spürbar sein werden. Durch den Klimawandel werden sich das zeitliche Auftreten und die Intensität von Niederschlägen regional sehr unterschiedlich verändern und die steigenden Temperaturen führen zusätzlich zu einer höheren Wasserverdunstung. Daher müssen auch Städte zukünftig mit einer veränderten Wasserverfügbarkeit für ihre steigenden Bedürfnisse rechnen. Durch die internationale Zusammenarbeit mit der gemeinnützigen Naturschutzorganisation „The Nature Conservancy“ (TNC) in den USA konnten Wissenschaftler des CESR an der Universität Kassel erstmalig umfassend in einer Studie für 2050 zeigen, welche Auswirkungen Urbanisierung und Klimawandel im Zusammenspiel auf die begrenzte Ressource Wasser haben und welche Herausforderungen sich daraus für das Wassermanagement ergeben.
Im Rahmen des „Global Cities Programme“ wurden unter Leitung von Dr. Rob McDonald (TNC) detaillierte Daten zu Ort und Art der Wasserentnahme von 482 Städten weltweit zusammengetragen. Durch die Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Wissenschaftler konnte in der Simulationsstudie die Fernwasserversorgung (Wassertransfers) von Großstädten in einem großskaligen hydrologischen Modell berücksichtigt werden. „Die Implementierung der Wasserinfrastruktur in unser globales hydrologisches Modell WaterGAP3 liefert einen wichtigen Beitrag zur Quantifizierung und Bewertung der Sicherheit der urbanen Wasserversorgung. Wir können jetzt aber auch zeigen, dass die ausreichende Wasserversorgung einer Stadt zu Wasserknappheit in weiter entfernten Landschaften führen und dort für Konflikte sorgen kann“, so Dr. Christof Schneider, der an der Studie mitgewirkt hat und für die Implementierung der Wasserinfrastruktur in WaterGAP3 verantwortlich war.
Durch die Wassertransfers zur Versorgung urbaner Räume werden nicht nur Millionen Menschen, sondern auch die Landwirtschaft, die Industrie und die aquatischen Ökosysteme auf dem Land negativ beeinträchtigt. „Die Wechselwirkungen zwischen Stadt und Land verstärken sich zunehmend. Annähernd kann man sagen, dass auf drei Stadtbewohner, die per Wassertransfer nicht von Wassermangel betroffen sein werden, eine Person in dem entfernten Wassereinzugsgebiet nicht mit genügend Wasser versorgt werden kann“, sagt Dr. Martina Flörke. Weitere Ergebnisse der Studie zeigen, dass 2050 jede vierte Stadt der Welt von Wasserknappheit betroffen sein könnte, da nicht genügend Wasser zur Versorgung der Einwohner entnommen werden kann. Für weitere 19 Prozent der Städte zeigt sich ein hohes Konfliktpotenzial zwischen der Versorgung der Städte mit Trinkwasser und der Landwirtschaft mit Bewässerungswasser. Hier kann zukünftig der Anbau von Feldfrüchten auf bis zu 1,4 Millionen Hektar Ackerland durch die urbanen Wassertransfers gefährdet sein, da nicht genügend Wasser für die Bewässerung zur Verfügung steht. Die Kasseler Wissenschaftler konnten aber auch zeigen, dass sich der Wassermangel in 80 Prozent der Entnahmegebiete zukünftig vermeiden ließe, würde man die Wassernutzungseffizienz der Bewässerungssysteme um nur 10 Prozent verbessern. In der Simulationsstudie mit 482 ausgewählten Städten bedeutete dies, dass durch diese Anpassungsmaßnahme der Wassermangel deutlich reduziert werden kann.
Auch die Grundwasserentnahmen großer Städte sind oft nicht nachhaltig. Für 95 Prozent der Städte wird der Druck auf die Grundwasserressourcen zukünftig durch Urbanisierung und Klimawandel weiter steigen und nur wenige Städte in der Studie konnten vom Klimawandel profitieren. „Für eine nachhaltige Entwicklung wird es von Bedeutung sein, dass städtische Wasserversorger ein integriertes Wasserressourcenmanagement anstreben und die Verluste in Rohrleitungssystemen reduzieren“, so Flörke. „Aber auch Einsparungen der Verbraucher selbst tragen zur Reduzierung oder Vermeidung von Wassermangel in Städten bei. Insbesondere sind jedoch die Wasserbedürfnisse der Bevölkerung, weiterer Nutzungssektoren sowie aquatischer Ökosysteme in den entfernt liegenden Entnahmegebieten mit zu berücksichtigen.“
Publikation:
Flörke, Martina; Schneider, Christof; McDonald, Robert I. (2018): Water competition between cities and agriculture driven by climate change and urban growth. In: Nature Sustainability 1 (1), S. 51–58. DOI: 10.1038/s41893-017-0006-8