Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat am 18. November 2016 die Einrichtung eines neuen Sonderforschungsbereichs (SFB) an der Universität Stuttgart bewilligt. Der SFB 1244 mit dem Titel „Adaptive Hüllen und Strukturen für die gebaute Umwelt von morgen“ untersucht die Frage, wie angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung und schrumpfender Ressourcen künftig mehr Wohnraum mit weniger Material geschaffen werden kann. Sprecher ist Prof. Werner Sobek vom Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK). Zudem ist die Universität Stuttgart an dem neuen Sonderforschungsbereich CAMPOS (Sprecherhochschule Universität Tübingen) in drei Projekten beteiligt.
Der Rektor der Universität Stuttgart, Prof. Wolfram Ressel, betont: „Mit dem neuen SFB 1244 konnte die Universität Stuttgart – nach dem Transregio „Biological Design and Integrative Structures“ – nun zum zweiten Mal binnen zwei Jahren einen Sonderforschungsbereich einwerben, der anpassungsfähige und gleichzeitig ökologisch effiziente Strukturen für Gebäude von Morgen in den Mittelpunkt stellt. Dies unterstreicht die Forschungsstärke der Universität Stuttgart in ihrem Schwerpunkt „Architektur und adaptives Bauen“, der die Grenzen herkömmlichen Bauens durchbricht und wichtige Beiträge zur Schonung der weltweiten Ressourcen leistet.“
Der Sprecher des neuen Sonderforschungsbereichs, Prof. Werner Sobek, ergänzt: „Der Einsatz adaptiver Elemente erlaubt Einsparungen beim Einsatz von Material und Energie in bisher nicht gekannten Größenordnungen. Damit zeigt der SFB 1244 Wege auf, mittels derer das Bauwesen einen wichtigen Beitrag zu drängenden ökologischen und ökonomischen Fragen unserer Zeit leisten kann.“
Bauvolumen müsste verdoppelt werden
Rund 60 Prozent des weltweiten Ressourcenverbrauchs, 50 Prozent des Massenmüllaufkommens sowie jeweils 35 Prozent des Energieverbrauchs und der Emissionen gehen auf das Konto des Bauschaffens. Diese Zahlen dürften noch steigen, wenn man bedenkt, dass rund zwei der derzeit 7,4 Milliarden Menschen auf der Erde jünger sind als 16 Jahre. Allein die Schaffung von Wohnungen, Arbeitsplätzen und Infrastrukturen für diese Bevölkerungsgruppe erfordert es, in den kommenden 16 Jahren den gesamten im Jahr 1930 weltweit vorhandenen Baubestand zu duplizieren. Die Errichtung eines so großen Bauvolumens in so kurzer Zeit ist mit herkömmlichen Methoden nicht ohne gravierende Konsequenzen für unseren Planeten zu leisten. Daher sind dringend neue Ansätze gefragt, die es erlauben, mehr mit weniger Material zu bauen – und das verbaute Material auch wieder voll in natürliche oder technische Stoffkreisläufe rückführbar zu machen.
Als Lösungsansatz erforscht der neue Sonderforschungsbereich 1244 den Einsatz adaptiver Elemente in tragenden Strukturen, Hüllsystemen und Innenausbauten. Solche Elemente ermöglichen es, die strukturellen und die bauphysikalischen Eigenschaften von Materialien und Bauteilen gezielt so zu verändern, dass diese sich immer optimal an unterschiedliche Belastungen anpassen. Dies hat gleich mehrere Vorteile: Tragende Strukturen können dadurch mit weniger Material- und Energieeinsatz hergestellt werden. Im Bereich der Gebäudehülle fördern adaptive Elemente die Energieeffizienz und führen zu einer deutlich verbesserten Aufenthaltsqualität in den Gebäuden selbst – wichtige Voraussetzungen für eine Steigerung des körperlichen und geistigen Wohlbefindens der Nutzer. Neben den statisch-konstruktiven und den bauphysikalisch relevanten Auswirkungen und Chancen eröffnet die Integration von adaptiven Elementen zudem einen erweiterten Entwurfs- und Gestaltungsspielraum für die Architektur selbst.
Fundamentale Erweiterung der Architektur
Grundlegend neu ist dabei, dass ein Gebäude mit adaptiven Qualitäten nicht mehr – wie bisher – als ein in sich abgeschlossenes und fertiges Produkt angesehen werden muss. Die Nutzer können bestimmte Eigenschaften des Gebäudes gezielt auf ihre Bedürfnisse anpassen. Dies eröffnet den Übergang vom bisher gekannten Gebäude zum architektonischen Environment.
Die Integration von adaptiven Elementen in tragende Strukturen, Hüllsysteme und Innenausbauten bedeutet eine Erhöhung der Anzahl der am Planungsprozess beteiligten Disziplinen bei gleichzeitiger Steigerung der Interdependenzen und Korrelationen der einzelnen Planungsinhalte und -vorgänge. Um dem gerecht zu werden, wird der SFB 1244 Planungsinhalte und -methoden aus dem Maschinenbau, der Architektur, dem Flugzeugbau und dem Bauingenieurwesen zusammenführen. Er baut auf Kompetenzen in den Bereichen Leichtbau, Komponentenentwicklung, Systemdynamik, Planungstheorie, visuelle Analyse und Gestaltung auf.
Mitbeteiligung an Sonderforschungsbereich Campos
Des Weiteren ist Prof. Wolfgang Nowak von der Universität Stuttgart an dem in gleicher Sitzung ebenfalls neu bewilligten Sonderforschungsbereich „CAMPOS – Stoffumsatz in Einzugsgebieten: Metabolisierung von Schadstoffen auf der Landschaftsskala“ (Sprecher Prof. Peter Grathwohl, Universität Tübingen) mit drei Teilprojekten beteiligt. Der SFB untersucht den Transport und Umsatz von Schadstoffen in den großräumigen und langfristigen Prozessketten, wie sie in der Natur vorherrschen. Er tut dies mithilfe neuartiger Beobachtungssysteme sowie numerischer Landschaftsmodelle und möchte so die Grundlage für zuverlässigere Voraussagen der zukünftigen Boden- und Wasserqualität unter den Bedingungen des Klima- und Landnutzungswandels schaffen. Besonderen Fokus erhalten Landschaftselemente wie Flüsse, Teilgebiete im Quellbereich von Flüssen, Talebenen, geklüftete Grundwasserleiter und Böden. Die Beiträge seitens der Universität Stuttgart liegen im Bereich der optimalen Planung von Experimenten, sowie in der Abschätzung von Unsicherheiten, welche bei der Modellierung und Simulation komplexer und bislang unvollständig verstandener Vorgänge beim Schadstofftransport unvermeidlich sind.