Wie sehen die Energiesysteme der Zukunft aus? Welche technischen Grundlagen benötigen wir und wie kann der anstehende Transformationsprozess so gestaltet werden, dass wir alle gesellschaftlichen Akteure mitnehmen? Antworten auf solche Fragen sollen vier Forschungsprojekte liefern, die die Carl-Zeiss-Stiftung (CZS) im Rahmen des Programms „CZS Durchbrüche – Energiesysteme der Zukunft“ fördert. Eines davon ist an der Universität Stuttgart angesiedelt und soll die notwendigen Transformationsprozesse zur Energiewende unter Einbeziehung aller Akteure im urbanen Kontext unterstützen. Die Fördersumme beträgt rund fünf Millionen Euro auf sechs Jahre.
Das interdisziplinäre Team der Stuttgart Research Initiative (SRI) „Discursive Transformation of Energy Systems“ (DiTEnS) erforscht, wie mit Hilfe von Augmented und Virtual Reality Entscheidungsträger direkt in den Prozess der Gestaltung der Energiewende eingebunden werden können. Dafür setzt es digitale Zwillinge ein, die urbane Bestandsquartiere energetisch abbilden sollen, da die unterschiedlichen Situationen vor Ort immer individuelle Lösungen benötigen. Darauf aufbauend können geplante Veränderungen wie die Installation von Solaranlagen, energetische Sanierung oder auch Schallemissionen erlebbar gemacht und ihre Rückwirkungen auf die gesamte Infrastruktur technisch, wirtschaftlich und nutzerbezogen bewertet werden.
DiTEnS vereint Expert*innen für Energiesysteme, Gebäudeenergetik, Computersimulation und Sozialwissenschaften und wird von einem kollegialen Direktorium (Sprecher Prof. Kai Hufendiek, Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) der Universität Stuttgart) geleitet. „Die Transformation unseres Energie-systems zu einem nachhaltigen, klimaneutralen System, stellt eine gesamtwirtschaftliche, aber eben auch gesamtgesellschaftliche Aufgabe dar“, so Hufendiek. „Soll diese gelingen, benötigen wir neue Ansätze.“ Seitens der Universität Stuttgart sind neben dem IER die Institute für Energieübertragung und Hochspannungstechnik (IEH) sowie für Gebäudeenergetik, Thermotechnik und Energiespeicherung (IGTE), das Höchstleistungsrechenzentrum (HLRS) und das Zentrum für interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung (ZIRIUS) beteiligt. Dazu kommen zahlreiche Praxispartner wie Kommunen sowie Akteure aus dem Verwaltungsbereich und Unternehmen.
Drei Säulen
Als erste Hauptaufgabe von DiTEnS werden die Forschenden Methoden entwickeln, mit denen sich die komplexe Bestandssituation in den betrachteten Straßenzügen und Stadtvierteln effizient ermitteln lässt. Dann werden lokale Optionen für die die individuelle klimaneutrale Umgestaltung der Untersuchungsräume bestimmt. Die Wissenschaftler*innen werden realistische, dynamische Simulationen entwickeln, die die Abhängigkeiten zwischen Gebäuden und Infrastruktur von der regionalen Ebene bis zu einzelnen Gebäuden integrieren. Dieser Ansatz soll für Kommunen, Eigentümer und weitere Akteure Strategien zur Nutzung erneuerbarer Energien, Verbesserung der Energieeffizienz, für den Einsatz intelligenter Netze, verfügbarer Abwärme, Elektromobilität und moderner Energiespeichertechnologien wie auch die Flexibilisierung der Nachfrage veranschaulichen.
Die Wissenschaftler*innen aus der Visualisierungsabteilung des Höchstleistungsrechenzentrums der Universität Stuttgart (HLRS) unter der Leitung von Dr. Uwe Wössner entwickeln aus den Ergebnissen dieser Modellierung digitale Zwillinge der Gebäude und Energiesysteme in ihrem urbanen Kontext. Digitale Zwillinge sind hochdetaillierte, mehrskalige Modelle von Städten oder Regionen, die sichtbare wie auch unsichtbare Merkmale der Umgebung simulieren, so etwa Feinstaub, Lärm oder Luftströme. Betrachtet in einer interaktiven 3D-Visualisierungsanlage wie der CAVE des HLRS, vereinfachen sie die Darstellung von komplexen Systemen wie der Energie- und Gebäudeinfrastruktur eines Stadtgebiets. So kann man zum Beispiel verstehen, wie sich Veränderungen zur Erreichung von Klimaneutralität vor Ort und im Gesamtsystem auf Gebäude, Straßenzüge oder Stadtviertel und ihrem vernetzten Betrieb im Gesamtsystem auswirken.
DiTEnS verfolgt auch eine sozialwissenschaftliche Perspektive, um für eine gelingende Energie- und Wärmewende gemeinsam mit den verschiedenen Stakeholdergruppen Empfehlungen zu erarbeiten, wie sich Brücken zwischen technischen Möglichkeiten und ihrer individuellen Nutzung schlagen lassen, die für den Erfolg der Transformation ausschlaggebend sind. DiTEnS fördert den transdisziplinären Dialog, um Konflikte zwischen den unterschiedlichen Anforderungen aller Beteiligten der Energiewende zu reduzieren und gemeinsame Perspektiven zu fördern.