Etwa ein Viertel des Endenergieverbrauchs in Deutschland wird als elektrische Energie, hingegen etwa die Hälfte für die Bereitstellung von Wärme verwendet. Im Rahmen der Energiewende soll die Energieversorgung in Deutschland bis 2050 zu 60 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen gedeckt werden, Strom sogar zu mehr als 80 Prozent. Erneuerbare Energien wie Sonne oder Wind sind aber nicht immer dann verfügbar, wenn sie gebraucht werden, sondern schwanken zeitlich. Daher lässt sich mit Windkraft- oder Solaranlagen teilweise mehr Energie produzieren, als benötigt wird oder in die Netze eingespeist werden kann, teilweise aber auch zu wenig. Während Sonnenenergie im Sommer durch solarthermische Anlagen genutzt werden kann, wird Heizwärme hauptsächlich im Winter benötigt. Daher liegt es auf der Hand, dass große Energiespeicher nützlich sein können, um diese zeitlichen Schwankungen auszugleichen: Gas- und Wärmespeicher im unterirdischen Gestein bieten hierbei gute Optionen.
Welche dieser geotechnischen Speicherarten für Schleswig-Holstein in Frage kommen und wie diese effizient mit dem Energie- und Wärmemarkt gekoppelt werden können, diesen Themen widmet sich das Forschungsprojekt ANGUS II (Auswirkungen der Nutzung des geologischen Untergrundes als thermischer, elektrischer oder stofflicher Speicher). Das Projekt wird für vier Jahre bis Ende 2020 mit insgesamt 6,7 Millionen Euro durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) gefördert und durch Professor Andreas Dahmke und Professor Sebastian Bauer von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) koordiniert.
Weitere Partner an der Kieler Universität sind Professor Wolfgang Rabbel, Professor Frank Wuttke und Professor Rainer Duttmann. Darüber hinaus konnten Professor Olaf Hohmeyer von der Europa-Universität Flensburg, Professor Ilja Tuschy von der Hochschule Flensburg, Professor Frank Sirocko von der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz sowie Professor Olaf Kolditz und Dr. Hans-Hermann Richnow vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig als Partner gewonnen werden.
„Wir wissen, dass es in Schleswig-Holstein viele gute Speichermöglichkeiten im Untergrund gibt. Wasserstoff, synthetisches Methan aus Windkraft und Druckluft können in Salzkavernen und in tieferliegenden porösen Gesteinsschichten gelagert werden. Wärme kann auch oberflächennah im Untergrund eingespeichert werden. Beides geht in Schleswig-Holstein theoretisch im großen Maßstab. Der wöchentliche Strombedarf unseres Landes ließe sich beispielsweise theoretisch mit einem großen Wasserstoffspeicher in einer geologischen Formation abdecken“, erläutert Professor Sebastian Bauer ein Ergebnis der bisherigen Forschungen. Im Vorgängerprojekt ANGUS+ hatte das Forschungsteam aus Mitgliedern der CAU, den Helmholtz-Zentren Leipzig und Potsdam sowie der Ruhr-Universität Bochum die Speichermöglichkeiten im schleswig-holsteinischen Untergrund untersucht. Im Folgeprojekt sollen nun diese Speicherpotenziale und ihre mögliche Einbindung in das Energienetz weiter erforscht werden.
Vor einer konkreten Umsetzung der Grundlagenforschung in die praktische Anwendung müssen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zunächst noch viele Fragen beantworten: Welche Energiemenge muss eigentlich wann und für welchen Zeitraum gespeichert werden? Wie viel Energie brauchen wir heute und wie viel in den nächsten 20 Jahren? Wie kann sich zum Beispiel ein Druckluftspeicherkraftwerk über diesen Zeitraum rentieren? Wieviel Wärme kann im städtischen Raum durch erneuerbare Energien erzeugt und wo kann diese gespeichert werden? Welche langfristigen Effekte ergeben sich aufgrund des Speicherbetriebes in den geologischen Schichten für die Umwelt? Für die dauerhafte Nutzung einer geologischen Formation unter variabler Zuführung und Entnahme von Gasen oder Wärme muss nicht nur der Speicherbetrieb gesichert, sondern auch die hydraulischen, chemischen, thermischen oder mechanischen Auswirkungen dieser Nutzung vorhersagbar, überwachbar und ohne schädliche Nebenwirkungen sein.
Die Forschenden beschäftigen sich zunächst mit der Entwicklung neuer Methoden zur Quantifizierung und der mathematischen Beschreibung der relevanten Prozesse, die der Dimensionierung und Auslegung der Speicher zugrunde liegen. „Die Erkenntnisse aus den Prozessstudien werden dann in großtechnischen Laboruntersuchungen für Wärmespeicher überprüft. Mit ca. fünf Tonnen Sediment bauen wir die Natur nach und erforschen unter kontrollierten Bedingungen, welche Detailprozesse mit verschiedenen Arten der Wärmespeicherung genau verbunden sind. Dabei achten wir darauf, welche unmittelbaren Auswirkungen für den Speicher selbst, aber auch für seine umgebende Schicht und oberflächennahe unterirdische Schutzgüter wie Grundwasser entstehen“, erklärt Bauer.
Parallel dazu erfolge die Erforschung der Markteinbindung. Dazu werden unter Anderem numerische Modelle zu Energiespeichern, Kraftwerkseinzelanlagen und Energienetzen erstellt. Die Ergebnisse dieser realistischen und auf Schleswig-Holstein als Modellregion fokussierten Simulationen werden anschließend in einer Datenbasis für den Datentransfer zusammengeführt. „Das erlaubt uns die gemeinsame Nutzung der Modelle unter wirtschaftlichen Aspekten und stellt eine konsistente Methodik zur Integration von geotechnischen Speichern in die Energienetze dar“, so Professor Andreas Dahmke.
Um den Anteil an erneuerbarer Energie nicht nur im Strom- sondern auch im Wärmesektor zu erhöhen, könne mithilfe dieser Grundlagenforschung künftig zum Beispiel überschüssige erneuerbare Energie aus Solarthermie, die saisonal und wetterabhängig produziert wird, als Wärmeenergie gespeichert werden. „Energiewende geht nicht ohne Wärmewende“, betont der Geowissenschaftler Dahmke den Beitrag, den urbane Wärmespeicher in Zukunft spielen können. Mit dem Forschungsprojekt ANGUS II soll daher auch die Wärmewende vorangetrieben werden. Dieser Beitrag ist naturgemäß nicht auf Schleswig-Holstein beschränkt, sondern von nationaler Bedeutung. Auch international ist dieses Projekt aufgrund der geowissenschaftlichen Grundlagenforschung kombiniert mit anwendungsnahen Aspekten der Systemintegration maßgebend und von hoher Relevanz bei der Transformation der Energiesysteme.