Mobilität

Schneller altern ohne ÖPNV?

ÖPNV
Muss aus Altersgründen auf die individuelle Pkw-Nutzung verzichtet werden, ermöglicht vor allem der ÖPNV außerhäusliche Aktivitäten.

Veranstaltung am 24. September 2015 in Frankfurt: Was Busfahren mit Gesundheitsvorsorge zu tun hat

In einer Veranstaltung am 24. September im Frankfurter Vernetzungs- und Innovationszentrum HOLM diskutierten Vertreter der Mobilitätsbranche und Wissenschaftler über die Herausforderungen des ÖPNV vor dem Hintergrund des demografischen Wandels. Teilnehmer waren der Mobilitätsbeauftragte des Hessischen Verkehrsministeriums, Volker Sparmann, der Sprecher der Geschäftsführung des Rhein-Main-Verkehrsverbundes (RMV), Prof. Knut Ringat, das Vorstandsmitglied der DB Regio AG, Michael Hahn sowie Prof. Christian T. Haas, Direktor am Institut für komplexe Gesundheitsforschung und Forschungsdekan am Fachbereich Gesundheit & Soziales an der Hochschule Fresenius.

Volker Sparmann (Hess. Verkehrsministerium) machte auf die veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von öffentlichen Mobilitätsangeboten aufmerksam. „Die Wünsche älterer Bürgern haben sich gewandelt“, so Sparmann. „Sie sind mobiler geworden und leben intensiver. Gleichzeitig fehlt offensichtlich nicht nur das Geld, um die Versorgung, insbesondere im ländlichen Raum, aufrecht zu erhalten“. Besorgt äußerte sich Prof. Knut Ringat (RMV) darüber, dass die Regionalisierungsmittel des Bundes nicht mehr zur Daseinsvorsorge des ÖPNV ausreichen. Mit Blick auf kürzlich genehmigte Infrastrukturmaßnahmen im Straßenbau fehle ihm allerdings der Glaube an eine angemessene Wertschätzung des ÖPNV von Seiten der Politik.

Auch Nervenzellen brauchen Mobilität

Prof. Haas (Hochschule Fresenius) hob hervor, dass die Selbstverständlichkeit, mit der nicht nur Politik, sondern auch weite Teile der Gesellschaft eine funktionierende Mobilitätsversorgung voraussetzten, hoch problematisch sei. „Die tatsächlichen Leistungen des ÖPNV für die Gesellschaft, insbesondere für unser Gesundheitssystem, stehen in einem eklatanten Widerspruch zur allgemeinen Wahrnehmung“. Stünde der individuelle Pkw-Verkehr altersbedingt nicht mehr zur Verfügung, sei vor allem der ÖPNV in der Lage, außerhäusliche Anschlussaktivitäten zu ermöglichen, die für die soziale Teilhabe und damit auch für die Gesundheit von Menschen so bedeutsam seien, so Haas. „ÖPNV ist weit mehr als eine niederschwellige Anbindung an Versorgungsstrukturen wie Arzt, Apotheke oder Physiotherapeut. Wir wissen, dass durch wenig abwechslungsreiche Umgebungen, also auch in der häuslichen Situation, die man nicht verlassen kann, Nervenzellen degenerieren können. Der ÖPNV spielt eine Schlüsselrolle dabei, schädliche Isolation zu verhindern und kognitive Leistungen zu erhalten.“

Dass dieses Forschungsthema auch für Mobilitätsanbieter wie DB Regio interessant sei, bestätigte dessen Bus-Vorstand, Michael Hahn. Derzeit sei man zusammen mit der Hochschule Fresenius dabei, herauszufinden, warum ältere Menschen häufig nicht mehr aus dem Haus gehen, wie Unsicherheiten entstehen und wie man den Busverkehr für Ältere attraktiver machen könne. „Es ist ein Teufelskreis, dass Menschen aus Verunsicherung und Unwissenheit auf die Nutzung verzichten und so die Nachfrage, und in der Konsequenz damit auch das Angebot, reduzieren“, so Hahn.

Die realen Anforderungen älterer Menschen an den ÖPNV müssten noch weiter untersucht werden, so Haas. Die UN-Behindertenrechtskonvention würde oftmals so ausgelegt, als ließe sich der Handlungsbedarf auf den Ein- und Ausstieg in Bus und Bahn reduzieren. „Doch einmal drin, beginnen für viele Menschen die Probleme erst. Die beginnen mit der fehlenden Orientierung im Fahrzeug, Problemen mit zu niedrigen Sitzhöhen, fehlenden oder ungeeigneten Haltemöglichkeiten und münden in Fahrsituationen mit komplexen Beschleunigungsverläufen, die für die Fahrgäste, vor allem im Stehen, nicht einfach zu verarbeiten sind“.

Einig waren sich die Teilnehmer darin, dass es um mehr geht, als die Verkehrsmittel den Bedürfnissen ihrer Benutzer anzupassen. „Es muss zu den primären Aufgaben einer sozialen Gesellschaft zählen, der Rolle und Funktion von Mobilitätsangeboten für die Erhaltung von Gesundheit und Teilhabe angemessen Rechnung zu tragen“, so Haas. Deshalb warb er für eine breitangelegte Aufklärungskampagne, um den ÖPNV für mehr Menschen attraktiv zu machen. „Der ÖPNV und die dadurch ermöglichten Anschlussaktivitäten sind für unser Gesundheitssystem mindestens genauso wichtig wie viele andere Präventionsangebote. Nur muss dies auch von der Politik verstanden werden.“

Weitere Informationen:
www.hs-fresenius.de