Transforming Cities

Klein- und Mittelstädte besonders verwundbar

Klein- und Mittelstädte besonders verwundbar
In der Stadt Semarang/Indonesien kämpfen BewohnerInnen gegen den Anstieg des Meeresspiegels und häufige Überflutungen. © Jörn Birkmann

Studie untersucht die Verwundbarkeit von Städten gegenüber Extremereignissen

Nicht Megacitys, sondern kleine und mittelgroße Städte wachsen rapide und sind besonders verwundbar gegenüber Extremereignissen und Klimawandel und müssen daher besser geschützt werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine von einem internationalen Forscherteam unter der Federführung von Prof. Jörn Birkmann (Universität Stuttgart) erarbeitete neue Studie, über die das Fachmagazin NATURE berichtet. Insbesondere sollten die schnellwachsenden Klein- und Mittelstädte in Afrika und Asien bei der in wenigen Tagen beginnenden Weltkonferenz für Städte mehr Beachtung finden.

Bei der am 17. Oktober 2016 beginnenden UN-Konferenz zum Thema Städte (UN-Habitat III) in Quito, Ecuador, werden 170 Länder die neue Urbane Agenda (New Urban Agenda) der Vereinten Nationen verabschieden. In dieser Agenda werden Regierungen aufgefordert, Städte integrativer, nachhaltiger und widerstandsfähiger (resilienter) gegen Katastrophen zu gestalten. Sowohl die Forschung, als auch die Politik richteten das Augenmerk in den letzten Jahren eher auf Megacities. Allerdings werden es gerade die Prozesse in schnellwachsenden kleinen (0,3 bis 0,5 Millionen Einwohner) und mittelgroßen (0,5 bis 5 Million) Städten sein, die über den Erfolg oder Misserfolg einer nachhaltigen Stadtentwicklung entscheiden.

Kleine und mittelgroße Städte wie Kampala in Uganda, Niamey in Niger und Chittagong in Bangladesch sind besonders verwundbar und anfällig für Naturgefahren und Klimawandel und haben oftmals begrenzte Kapazitäten zur Resilienzbildung. Sie unterliegen einem hohen relativen Bevölkerungszuwachs und kämpfen gleichzeitig gegen Armut, mangelhafte Infrastruktur und fragile Staatsführung. Auch Quito – als Austragungsstadt der UN-Weltkonferenz für Städte — und die nahe gelegenen Städte Portoviejo and Manta haben im April das Ausmaß von Naturrisiken erfahren.

Grundversorgung bei Katastrophen oftmals nicht gewährleistet

Damals wurde die Region von einem Erdbeben erschüttert, bei dem mehr als 600 Menschen getötet und weitere 10.000 verletzt wurden. Etwa 73.000 Menschen mussten in Notlager und Notunterkünfte umgesiedelt werden. Über 700.000 waren auf Notfallversorgung (Trinkwasser, Sanitär-Versorgung, Hygienesets) angewiesen. Viele Wasserversorger und Krankenhäuser mussten ihre Dienste unterbrechen oder wurden gänzlich zerstört. Nur 16 Prozent der auf 2,5 Milliarden US-Dollar geschätzten Schäden waren versichert. Noch drei Monate nach der Katastrophe fehlte es an der Grundversorgung für etwa 11.000 Menschen.

„Um menschliches Leid zu minimieren, müssen Städte in der Lage sein, vorausschauend zu planen, schnell zu reagieren und sich von den Einwirkungen erholen sowie aus den Ereignissen lernen. Die besonders hohe Verwundbarkeit rapide wachsender Klein- und Mittelstädte verlangt eine klare Prioritätensetzung für diese Städte und Länder“, sagt Prof. Jörn Birkmann vom Institut für Raumordnung und Entwicklungsplanung der Universität Stuttgart.

In den Jahren 2015 bis 2030 wird das Wachstum der städtischen Bevölkerung in Klein- und Mittelstädten bei mehr als 32 Prozent liegen – dies sind rund 469 Millionen Menschen mehr in diesen Städten, wohingegen Megastädte ein Wachstum der städtischen Bevölkerung von etwa 26 Prozent im gleichen Zeitraum erfahren werden, was ca. 203 Millionen Menschen mehr bedeutet.

Vorsorgemaßnahmenzeigen zeigen schneller spürbare Wirkung

Trotz dieser Probleme in Klein- und Mittelstädten wird es leichter, die Resilienz in diesen Städte zu stärken, da diese vielfach einfacher zu regieren sind als Megacities. Zudem zeigen Vorsorgemaßnahmen wie verbesserte Abwasserbehandlungsanlagen oder Hochwasserschutz schneller eine spürbare Wirkung. Auch der Dialog zwischen den verschiedenen Interessengruppen ist in kleineren Städten besser zu organisieren. Risikoreduktions- und Klimawandel-Strategien, die jetzt umgesetzt werden, können sich mit dem Wachstum der Städte entwickeln beziehungsweise angepasst werden.

Um einschätzen zu können, in welchen Ländern die Städte am verwundbarsten gegenüber Naturgefahren sind, führten Prof. Birkmann und Dr. Thorsten Welle von der Universität Stuttgart eine Untersuchung durch, in der die Vulnerabilität der städtischen Bevölkerung aus 140 Ländern (über 1.600 Städte mit mehr als 300 000 Einwohnern) untersucht wurde. Analog zum Standard der Berechnungen für den Weltrisikoindex (Welle et al. 2015), wurden hierfür Daten der Vereinten Nationen und der Weltbank für städtische Räume, deren Infrastrukturausstattung und sozioökonomische Indikatoren sowie andere Quellen herangezogen.

Basierend darauf legen die neue Studie sowie der Artikel in NATURE besonderes Augenmerk auf die 15 Länder mit der verwundbarsten städtischen Bevölkerung: Afghanistan, Jemen, Haiti, Zentralafrikanische Republik, Niger, Nigeria, Elfenbeinküste, Mauretanien, Liberia, Pakistan, Mali, Irak, Benin, Togo und Gambia.

Weitere Informationen:
www.uni-stuttgart.de/ireus


Originalpublikation:

Birkmann, Joern; Welle, Torsten, Solecki, William; Lawsa, Shuaib and Garschagen, Matthias (2016): Boost resilience of small and mid-sized cities, smaller settlements are growing faster than megacities — and they need more protection from extreme events, in: NATURE (vol. 537), Seiten 605-608. Onlineversion und ergänzende Materialien:

http://nature.com/articles/doi:10.1038/537605a