Angesichts des hohen Anteils von Erdgas an der Erzeugung von Raum- und Prozesswärme empfiehlt die Europäische Kommission, Wärme und Kälte vermehrt aus erneuerbaren Energien zu erzeugen. Das würde nicht nur die CO2-Emissionen senken, sondern auch die Abhängigkeit der Europäischen Union vom Erdgas reduzieren. Für diesen Vorschlag einer Wärme- und Kältestrategie für Europa hat die EU-Kommission unter anderem auf Ergebnisse eines Forschungsprojekts des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ISI zurückgegriffen.
In dem vom Fraunhofer ISI koordinierten Forschungsprojekt „Mapping EU heat supply“ wurde erstmals die Höhe des Energieverbrauchs für verschiedene Anwendungszwecke des Industrie- und Dienstleistungssektors sowie der privaten Haushalte auf Ebene der einzelnen Mitgliedstaaten ermittelt. Die EU-weiten Anwendungsbilanzen geben ein detailliertes Bild der Wärme- und Kälteerzeugung in Europa und der Verwendung fossiler und erneuerbarer Energieträger für die Bereitstellung von Raumwärme, Warmwasser und Klimatisierung in Gebäuden sowie für Prozesswärme und Kälte im Industrie- und Dienstleistungsbereich.
Projektleiter Dr. Tobias Fleiter vom Fraunhofer ISI fasst zusammen: „Die Hälfte des gesamten Endenergieverbrauchs der EU wird für die Wärme- und Kälteerzeugung verwendet. 50 Prozent davon entfallen auf die Bereitstellung von Raumwärme, zum Großteil in Wohngebäuden. Etwa ein Drittel wird für Prozesswärme in der Industrie benötigt. Die Klimatisierung und Prozesskühlung, vorwiegend in der chemischen Industrie sowie der Nahrungsmittelherstellung, hat mit etwa fünf Prozent nur einen relativ geringen Anteil. Die Klimatisierung weist jedoch das höchste Wachstum auf, sodass ihre Bedeutung in Zukunft deutlich zunehmen wird.“ Der Anteil erneuerbarer Energien sei aber noch zu gering: „Gemessen am Primärenergieverbrauch sind lediglich 18 Prozent durch erneuerbare Energien gedeckt, während Erdgas einen Anteil von etwa 45 Prozent ausmacht und somit der bedeutendste Energieträger ist“, so Fleiter.
Gleichzeitig sind die zur Wärmeerzeugung genutzten Techniken häufig veraltet, ergänzt Dr. Jan Steinbach, der das Projekt am Fraunhofer ISI gemeinsam mit Tobias Fleiter geleitet hat: „58 Prozent der Kohleheizungen, 45 Prozent der Ölkessel und 22 Prozent der Erdgaskessel sind älter als 23 Jahre und haben somit ihre technische Nutzungsdauer überschritten. Auch in der Industrie prägen alte Anlagen das Bild: Mehr als die Hälfte der für die Kraft-Wärme-Kopplung genutzten Dampfturbinen sind älter als 23 Jahre.“
Diese detaillierte Bilanz der Wärme- und Kälteerzeugung in Europa hat der EU-Kommission nun ermöglicht, in ihrem Vorschlag zur Wärme- und Kältestrategie gezielte Politikempfehlungen zu formulieren: Unter anderem fordert die Kommission die Mitgliedsstaaten auf, energieeffiziente Wärme- und Kältebereitstellung konsequent zu fördern, besonders in Haushalten, die von Energiearmut betroffen sind. Weiterhin sollten Mitgliedsstaaten verstärkt Verbände einbeziehen, um Bürger mit besseren Informationen zu versorgen. Nicht zuletzt empfiehlt die Kommission, das Mieter-Vermieter-Dilemma anzugehen, da dies ein zentrales Hemmnis für Investitionen in Gebäudedämmung ist: Typischerweise hat hier der Vermieter die Kosten zu zahlen, während der Mieter vom niedrigeren Energieverbrauch profitiert.
Weiterhin plant die Kommission, ihre Richtlinien für Energieeffizienz, erneuerbare Energien und Gebäude so zu überarbeiten, dass sie mehr Elemente einer auf erneuerbaren Energien beruhenden Wärme- und Kälteversorgung enthalten: Beispiele sind der schnellere Austausch von alten Heizkesseln durch energieeffiziente Techniken auf Basis erneuerbarer Energien, die beschleunigte Renovierung von Gebäuden, die verstärkte Kopplung von Wärme- und Stromsektoren, die Stärkung der Rolle von Energieaudits sowie die Unterstützung von Städten und Kommunen dabei, industrielle Abwärme stärker zu nutzen.
Die Wärme- und Kältestrategie ist momentan nur ein Vorschlag der EU-Kommission, über den nun der Europäischer Rat und das Parlament beraten.
Im zweiten Teil des Forschungsprojekts „Mapping EU heat supply“ berechnet das Fraunhofer ISI zusammen mit seinen Projektpartnern Szenarien zur Entwicklung des Wärme- und Kältesektors in Europa bis zum Jahr 2030. Dabei werden Politikmaßnahmen untersucht, die einen Beitrag zur effizienteren Gestaltung der Wärme- und Kälteerzeugung leisten sowie die verstärkte Nutzung von erneuerbaren Energien fördern können, wodurch sie zur Verringerung der Importabhängigkeit fossiler Energieträger beitragen würden. Die Ergebnisse werden im Sommer 2016 veröffentlicht.
Weitere Informationen:
Projekt „Mapping EU heat supply“
Vorschlag der EU-Kommission zur Wärme- und Kältestrategie für Europa
Über „Mapping EU heat supply“
Das Projekt „Mapping EU heat supply“ [Mapping and analyses of the current and future (2020 – 2030) heating/cooling fuel deployment (fossil/renewables)] wurde von der Europäischen Kommission beauftragt. Die Koordination hat das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung. Projektpartner sind das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE, das Institut für Ressourceneffizienz und Energiestrategien (IREES GmbH), Observ’ER energies renouvelables.org, die TEP Energy GmbH und die TU Wien Energy Economics Group.