Mobilität

Mobilitätswende: Geeignete Maßnahmen sind zunächst oft unpopulär

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Fast hätte sich diesem Interview mit Prof. Lutz Gaspers aufgrund der Autokorrektur eine Art „Freudscher Verschreiber“ eingeschlichen. „Mobilitätsende“ statt „Mobilitätswende“ stand plötzlich im Text. Nun wollen wir alle kein Ende der Mobilität, aber zugleich zeigt sich in diesem ungewollten Wort, dass unsere Mobilität neue Lösungen braucht. Oder anders formuliert: Das von A nach B gelangen macht eine grundsätzliche Mobilitätswende unerlässlich. Wie diese aussehen kann und welche Rolle die Wissenschaft dabei spielt, das erklärt Verkehrs- und Mobilitätsexperte Gaspers, von der Hochschule für Technik Stuttgart (HFT Stuttgart), im Interview.

Prof. Lutz Gaspers

Prof. Lutz Gaspers. © privat

Herr Gaspers, Sie beschäftigen sich im Rahmen Ihrer Forschungsarbeit mit der Mobilität der Zukunft. Was sind für Sie in diesem Kontext die drängenden Fragen und wie zeigt sich das in Ihren Forschungsprojekten?
Als Beispiel möchte ich auf das Projekt „HFTmobil“ hinweisen. Das Projekt beschäftigt sich mit dem Ziel, die verkehrsbedingten Emissionen der HFT-Mitglieder und -Angehörigen zu reduzieren. Wir betrachten dabei unter anderem die Wege von und zur Hochschule, aber auch die Dienstwege oder Exkursionen. Dabei geht es darum, wie sich die Mobilität von Studierenden und Mitarbeiter*innen langfristig und nachhaltig gestaltet lässt. Im Rahmen des Projekts sehen wir die zentrale Lage unserer Hochschule in der Innenstadt als Vorteil und nicht als Standortnachteil. Als Ziel haben wir und ein HFT-Mobilitätskonzept für den Zeithorizont 2030 gesetzt, inklusive der Etablierung eines Monitoring-Systems.

Nun geht es bei Mobilitätsideen viel um die Vernetzung unterschiedlicher Verkehrsangebote und vor allem darum, die Lücke zwischen städtischer und ländlicher Mobilität stärker zu schließen. Wie sehen Ihre Überlegungen hierzu aus?
Unsere Forschung beschäftigt sich sowohl mit dem urbanen Raum, als auch mit dem ländlichen Raum. Schauen wir beispielsweise auf Stuttgart, wo die berufsbedingten Wege von rund 300.000 Pendlerinnen und Pendlern enden. Viele davon haben ihren Ursprung im Umland des Agglomerationsraumes. Dies vor Augen ist es wichtig, neue Lösungsansätze für das Umland der Städte zu finden, wo die Verkehrsbelastungen nicht so stark spürbar sind.

Was heißt das konkret?
Mobilität und Verkehr bilden die Grundlage unserer arbeitsteiligen Wirtschaft. Die Entwicklung unserer Siedlungsstruktur hat in den vergangenen Jahrzehnten den Trend der Suburbanisierung verfolgt. In Zukunft wird aufgrund steigender Kosten für Mobilität und einem zu erwarteten Fachkräftemangel die Bedeutung der Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes zunehmen. Mit Blick darauf und aufgrund der notwenigen Mobilitätswende sind intelligente Verkehrskonzepte für die Zukunft unerlässlich.

Wie können sich die Leserinnen und Leser Ihrer Arbeit vorstellen, um diese Ziele zu erreichen?
Die Grundlage jeder Planung ist eine konkrete Zielvorstellung, die sich oft in Leitbildern ausdrückt. Zielvorstellung unserer Gesellschaft ist eine nachhaltige Mobilität und das Erreichen der Mobilitätswende. Dazu werden zielbezogene Analysen vorgenommen und daraus Mängel identifiziert. Denen gilt es durch geeignete Maßnahmen entgegenzuwirken. Dabei setzt die Verkehrsplanung auf die Akzeptanz der Nutzer*innen. Und doch zeigt sich beim großen Ziel der Mobilitätswende: Geeignete Maßnahmen sind zunächst oft unpopulär. Das heißt, dass deren Umsetzung erst im Nachhinein als vorteilhaft erkannt werden. So galt zum Beispiel die City Maut in Stockholm bei den Menschen zunächst als ungeeignet. Erst nach deren Einführung wuchs die Akzeptanz, als festgestellt wurde, dass der Nutzen für die Allgemeinheit überwiegt.

Vor welchen Herausforderungen stehen Sie im Rahmen Ihrer Forschung?
Als Besonderheit gilt die große Anzahl an Steakholdern. Wir versuchen die Mobilität für rund 4.000 Studierende, über 450 Mitarrbeiter*innen in Forschung und Verwaltung sowie rund 400 Lehrende zu verbessern. Dafür stehen Mobilitätsangebote verschiedener Mobilitätsdienstleister wie der Stuttgarter Straßenbahnen oder der Deutschen Bahn zur Verfügung. Hinzu kommen die Verkehrsnetze der Stadt Stuttgart, des Landes Baden-Württemberg sowie des Bundes. Betreiber von Parkplätzen und Abstellanlagen sind unter anderem eine landeeigene Gesellschaft oder auch private Akteure. Daran ist zu erkennen, dass hier unterschiedliche Bedarfsgruppen zusammengebracht werden müssen.

Wenn Sie abschließend nach vorne schauen: Was wünschen Sie sich als Verkehrsexperte mit Blick auf die mittel- bis langfristige Mobilitätswende in der Metropolregion Stuttgart, aber auch bundesweit?
Über die Notwendigkeit der Verkehrswende sind sich die Expert*innen einig. Die Frage ist, wie diese Wende zum Vorteil aller umsetzbar ist. In Zeiten stark steigender Rohstoffpreise, überfülltem Nahverkehr und neuen Arbeitszeitmodellen denken viele von uns über das eigene Mobilitätsverhalten nach. Dieses Momentum gilt es zu nutzen, um Lösungen zu finden, anzubieten und umzusetzen. Unsere Mobilität muss effizienter und umweltfreundlicher werden, ohne dass daraus mehr Verkehr entsteht. Im Idealfall: mehr Mobilität bei weniger Verkehr. Denn Städte leben von der Frequenz. Der Mehrwert muss spürbar sein, in den Innenstädten arbeiten zu können, dort einzukaufen, Freizeit hier verbringen zu können und in Zukunft vermehrt auch wieder zu wohnen. Dazu müssen wir in Einklang mit den Stadtstrukturen kommen und ein jeweils passendes Mobilitätssystem entwickeln, was Vorteile bringt und möglichst wenig Belastungen generiert.
(Andreas Eicher)

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