Stadtwerke haben durch ihre Regionalität entscheidende Vorteile bei den Kunden – und können auf dieser Basis neue, zukunftsfähige Geschäftsmodelle entwickeln. Das ist das Ergebnis einer Studie an der Universität Hohenheim. Gemeinsam mit Kollegen der TU Berlin befragten die Forscher Haushalts- und Industriekunden zu ihren Motiven und entwickelten ein neues computergestütztes Simulationsmodell mit diesen Daten. Das Ergebnis: Einem regionalen Stromlieferanten nehmen die Kunden auch etwas höhere Preise nicht übel. Mit über 190.000 Euro fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) das Projekt – was es an der Universität Hohenheim zu einen Schwergewicht der Forschung macht.
Es gibt Dienstleister, denen die meisten Menschen lieber treu bleiben. Das gilt nicht nur für Zahnarzt oder Frisör, sondern auch für den Stromanbieter. Nur selten wechseln die Kunden zu einem anderen Energieunternehmen, und dann bevorzugen sie regionale Anbieter.
Das ist aus Sicht von Volkswirten eigentlich kein optimales Verhalten. „Um das zu verstehen, reichen unsere üblichen volkswirtschaftlichen Modelle nicht aus“, bekennt Prof. Dr. Andreas Pyka, Leiter des Fachgebiets Innovationsökonomik an der Universität Hohenheim. Er arbeitet mit seinem Doktoranden Malcolm Yadack und mit Kooperationspartnern an der Technischen Universität Berlin an einem neuen, computergestützten Simulationsmodell, das dieses Verhalten abbilden kann.
„Uns interessiert, welche Motive für die Wahl des Stromanbieters ausschlaggebend sind – und welche Rolle die Regionalität dabei spielt“, erklärt Yadack. „Und mit den Modellen, die wir damit erstellen, wollen wir herausfinden, ob das den Stadtwerken neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnet und wie es sich auf die gesamte Volkwirtschaft und auf die Energiewende auswirkt.“
Haushaltskunden setzen auf Regionalität
Zunächst nahmen die Forscher die Motive der Haushaltskunden unter die Lupe. Sie starteten eine Umfrage unter den Kunden mehrerer Stadtwerke – und erhielten allein aus einer der regionalen Befragungen rund 4.500 Rückmeldungen.
„Erwartungsgemäß sind das Preis-Leistungs-Verhältnis und die Versorgungssicherheit den Kunden wichtig“, berichtet Yadack. Ebenfalls von Bedeutung: der Strom-Mix. Eine Präferenz für Grünstrom sei vor allem bei sehr jungen und älteren Kunden zu beobachten.
Die Regionalität, die „Marke Stadtwerke“, erweist sich jedoch beim Vergleich zwischen Stadtwerken, Grünstromanbietern und überregionalen Anbietern auch als ein entscheidendes Motiv. „Unser Modell muss die Regionalität daher auf jeden Fall zusätzlich berücksichtigen“, betont Yadack.
Simulationsmodell integriert Faktor Regionalität
Die Forscher entwickeln mit den Daten aus ihren Umfragen ein Simulationstool, mit dem Stadtwerke neue Geschäftsmodelle unter verschiedenen Rahmenbedingungen testen können. Die Besonderheit des Modells: Nicht nur der Preis fließt darin ein, sondern auch die anderen genannten Faktoren. Es enthält eine simulierte Landkarte mit verschiedenen Regionen, gekennzeichnet jeweils durch die Besiedelungsdichte. Auch die Energiefirmen sind in der Karte verzeichnet.
„Vor der Liberalisierung des Strommarktes waren die Kunden den Energiefirmen zugeordnet“, erklärt Yadack. „Jetzt müssen die Firmen um die Vertriebsmargen kämpfen, es herrscht Wettbewerb. Und diese Entwicklung simulieren wir.“
In Abhängigkeit davon wie regional Haushalte denken, gehen die Kunden unterschiedlich auf Distanz zu den Firmen. „Die Versorgungsunternehmen könnten nun in unzufriedene Regionen einsteigen oder große Firmen in Niederlassungen an günstigen Energiestandorten investieren“, so Yadack. „Für die Stadtwerke stellt sich die Frage, ob sie lieber die Kunden vor Ort besser betreuen oder in periphere Räume gehen sollten. Was dann jeweils mit den Vertriebsmargen geschieht, können Unternehmen im Modell durchspielen.“
Regionalität ermöglicht höhere Strompreise
Ein Ergebnis der Simulation: Die Zahlungsbereitschaft der Kunden steigt bei regionalen Firmen. „Eigentlich sollte die Liberalisierung niedrigere Preise bewirken, aber der Effekt der Regionalität wirkt dagegen“, erläutert Yadack.
Diese regionalen Präferenzen haben auch Auswirkungen auf politische Entscheidungen und Marktstrukturen. So fördert zum Beispiel das Erneuerbare-Energien-Gesetz regionale Energieprojekte, oder ein kürzlich erlassenes Gesetz in Mecklenburg-Vorpommern besagt, dass ortsansässige Projektträger bevorzugt werden. „Das ist für die Akzeptanz von Projekten von großer Bedeutung“, betont Yadack.
Und für die Stadtwerke auf der Suche nach neuen Geschäftsmodellen stellen die Ergebnisse der Studie eine Chance dar, erklärt Yadack: „Stadtwerke haben eine Zukunft.“
Industriekunden könnten Stromnetz stabilisieren
Andere neue Möglichkeiten sehen die Forscher bei den Industriekunden: „Die Energiewende hat das Problem, dass bei Wind- und Solarenergie die Einspeisung nicht kontinuierlich erfolgt.“ Um das auszugleichen, heißt ein Zauberwort „Stromlastflexibilisierung“.
Yadack erläutert die Vorgehensweise: „Wenn etwa eine Zementmühle plant, Gestein zu mahlen, könnte sie damit ebenso gut erst fünf Minuten später starten – gegen einen finanziellen Ausgleich durch den Stromversorger. Dieser könnte so die Stromabnahme der Verfügbarkeit anpassen, um das Netz zu stabilisieren.“ Deutschlandweit liege ein Potenzial zur Flexibilisierung von 4–9 Gigawatt in der Industrie.
Auch Firmenkunden haben mehr Vertrauen zu Stadtwerken
Um diese Möglichkeiten auszuloten, führten die Forscher eine Umfrage unter Firmen in Baden-Württemberg durch. 40 Prozesse, vor allem bei den sogenannten Querschnitts-Technologien wie Gebäudelüftung und Heizung, die sich grundsätzlich für eine Flexibilisierung eignen würden, konnten auf diese Weise identifiziert werden.
Doch da gibt es ein Problem: Nicht die Technik und auch nicht die Höhe des Ausgleichs lassen die Firmen zögern, sondern ein Mangel an Akzeptanz. „Die Energiefirmen greifen dabei in den Produktionsablauf des Unternehmens ein – und dazu fehlt noch das Vertrauen.“
Das verschaffe wiederum den Stadtwerken einen Vorteil, schlussfolgert Yadack: „Einem regionalen Unternehmen bringen die Firmen wesentlich mehr Vertrauen entgegen – schließlich übergibt man die Kontrolle über die Produktion eher an jemanden, den man kennt.“
Weitere Informationen:
Projektseite
Hintergrund: Projekt SW-Agent
„Die Rolle von Stadtwerken in der Energiewende – eine agentenbasierte Simulation der Interaktion und Akzeptanz der kommunalen Akteure“ – kurz SW-Agent – ist ein Verbundprojekt der Universität Hohenheim und der TU Berlin. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert es mit 190.082 Euro an der Universität Hohenheim. Der Startschuss des Projektes fiel am 1.5.2013, es endete am 31.5.2016.
Hintergrund: Schwergewichte der Forschung
31,2 Millionen Euro an Drittmitteln akquirierten Wissenschaftler der Universität Hohenheim 2015 für Forschung und Lehre. In loser Folge präsentiert die Reihe „Schwergewichte der Forschung“ herausragende Forschungsprojekte mit einem finanziellen Volumen von mindestens 250.000 Euro bei den Experimental- bzw. 125.000 Euro bei den Sozial- und Gesellschaftswissenschaften.