Carina Aschan ist Entwicklungsstrategin in der nordschwedischen Stadt Umeå. Umeå ist eine der am schnellsten wachsenden Städte Schwedens. Die übergeordnete Agenda der Stadt für kommunale Aufgaben verlangt, das Wachstum nachhaltig zu gestalten. Mit einem Masterabschluss in Nachhaltigkeit und Unternehmensökonomie sowie langjähriger Erfahrung in der Projektentwicklung setzt sich Carina Aschan leidenschaftlich für eine umfassende Transformation ein. Ihre Position ermöglicht es ihr, beim Aufbau von Partnerschaften zu helfen, die notwendig sind, um Umeå als eine der ausgewählten Städte der EU-Mission „Klimaneutralität und Smart Cities“ bis zum Jahr 2030 klimaneutral zu machen. In den letzten sechs Jahren hat sie Umeås Bereich im Smart City Lighthouse-Projekt RUGGEDISED geleitet – ein EU-finanziertes Partnerschaftsprojekt zwischen Umeå, Glasgow und Rotterdam und mehreren Forschungs- und Geschäftspartnern.
Wie würden Sie eine „Smart City“ definieren?
Eine Smart City verfügt über eine effektive Infrastruktur und entwickelt sich so, dass auch die nächsten Generationen die Möglichkeit haben, ihr Leben zu leben. In einer Smart City kommuniziert alles und jeder ständig miteinander. Technologie und Menschen sind miteinander vernetzt – Zusammenarbeit auf allen Ebenen ist der Schlüssel. Eine intelligente Stadt ist eine offene Stadt. Sie teilt Informationen mit ihren Bürgern, hört aber auch auf ihre Bewohner, um deren Wohlergehen zu fördern. Für mich ist eine Smart City eine nachhaltige Stadt, die für ihre Entwicklung vielleicht etwas mehr IKT und technische Lösungen einsetzt.
Wie hat RUGGEDISED Umeå auf dem Weg zur Smart City unterstützt?
Die Partner, die bei RUGGEDISED zusammenarbeiten, haben ein besonderes Verhältnis zueinander, und daraus sind viele neue Kooperationsprojekte mit neuen gemeinsamen Lösungen hervorgegangen. Dank RUGGEDISED haben wir erkannt, wie wichtig es ist, dies weiterhin gemeinsam zu tun. Bei RUGGEDISED haben wir uns erlaubt, innovativ und visionär zu sein, um das, was wir uns ausgedacht haben, anschließend umzusetzen. Wir waren uns nicht sicher, ob unsere Ideen für smarte Lösungen funktionieren würden, aber wenn wir in der Planungsphase nicht ein bisschen verrückt gewesen wären, wären wir nicht so weit gekommen. Eine Stadt wird niemals schlussendlich smart sein: Es ist ein fortlaufender Prozess. Aber nun sprechen wir mit unseren führenden Politikern über Smart City-Strategien, und wir haben eine Struktur der Governance die sicherstellt, dass wir die Smart City weiterentwickeln.
RUGGEDISED war eine sechsjährige Reise. Wenn wir Sie bitten würden, nur drei Momente, Aspekte oder Meilensteine davon hervorzuheben, welche wären das?
Ein Aspekt ist zu verstehen wie wichtig es ist, dass Menschen zusammenarbeiten und ihr Wissen teilen. Technologie ist dabei selten das Thema, es ist immer die Zusammenarbeit, die ein Projekt zum Scheitern oder zum Erfolg führt.
Ein Meilenstein war das erste Treffen mit den anderen Partnern. Für einige der gleichgesinnten Techniker aus den anderen Städten war es quasi „Liebe auf den ersten Blick“. Es war großartig, über ihre Neuerungen zu hören. Mitunter überraschend war, dass etwas, das in Umeå bereits als Mainstream gilt, woanders als innovativ angesehen wird. So etwas inspiriert die Leute wirklich!
Wir waren der Meinung, dass mit Implementierung der Lösungen alles so weit wäre. Das Interesse an unseren Innovationen war jedoch riesig. Bürger und Akteure unserer Stadt und anderer schwedischer Städte wollen gerne aus unseren Erfahrungen lernen. Dies führte zu vielen neuen Projekten und neuen Partnerschaften.
Auf welche im Rahmen des Projekts entwickelten und getesteten Lösungen sind Sie am meisten stolz und warum?
Den größten Effekt für den Klimaschutz erzielten wir mit dem von uns entwickelten System zur Nachfragesteuerung.
Damit konnten wir feststellen, wie viele Büros und andere Räumlichkeiten an unserer Universität zeitweise leer standen oder gar nicht genutzt wurden. Vor dem RUGGEDISED-Projekt hatten wir den Bau eines ganz neuen Büroflügels geplant. Jetzt wissen wir, dass wir gar kein neues Gebäude brauchen. Stattdessen haben sich die Beteiligten auf ein neues kooperatives Modell zur gemeinsamen Nutzung von Räumen und Flächen sowohl im Innen- als auch im Außenbereich verständigt.
Stolz bin ich auch auf unsere Smart Data-Plattform, die es den Menschen ermöglicht, den Fortschritt der Stadt in Sachen Klimaneutralität zu verfolgen und dabei selbst zu entscheiden, wie sie dazu beitragen können. Um unsere Klimaziele zu erreichen, brauchen wir das Engagement aller.
Welche in Umeå getesteten Lösungen haben das meiste Potenzial zur Nachahmung?
Ich denke, die meisten Lösungen haben das Potenzial, es uns gleichzutun. Eine entscheidende Rolle spielt dabei, ob die Kooperation zwischen den Akteuren funktoniert oder nicht. Denn unsere Lösungen sind schwerlich von einzelnen Akteuren umzusetzen.
Die Nachfragesteuerung wird bereits auf mehreren Campussen in Schweden eingesetzt. Mit digitalen Zwillingen weiterentwickelt, sollen die Systeme noch effektiver verwaltet werden können.
Unsere smarte Bus-Haltestelle hat viel Bekanntheit erlangt, aber die Hauptmotivation hinter ihrer Entwicklung wird oftmals nicht erwähnt. Obwohl sie viel Potenzial zur Nachahmung hat: Denn sie wurde speziell gebaut, damit sich junge Frauen beim Warten auf den Bus sicherer und wohler fühlen. Es ist ziemlich traurig, dass sich Frauen in unseren Städten nicht so sicher fühlen wie Männer. Wir müssen härter daran arbeiten, diese Entwicklung zu ändern – Smart City hin oder her.
Welche Ambitionen hat Umeå als Teil der Städtemission der EU?
… bis 2030 eine zu 100 Prozent klimaneutrale Stadt zu werden. Mehr als 50 Prozent der CO2-Emissionen Umeås stammen aus dem Verkehr. Wir unternehmen große Anstrengungen, um unsere Bürger zu beteiligen. Denn wir wissen, dass wir nicht so weitermachen können, wie wir es heute tun. Die Beteiligung der Bürger hat hohe Priorität. Außerdem betrachten wir die Emissionen, die durch unseren Konsum entstehen. Darüber lässt sich streiten, trotzdem trägt unser Konsumverhalten zu einem Teil unserer CO2-Emissionen bei. Wir können die Tatsache nicht ignorieren, dass der reiche Teil der Weltbevölkerung schneller konsumiert, als wir uns eingestehen.