Demografie, Energiekosten, Feststoffe, Wassersparen – das sind nur einige Reizworte, die den rasanten Wandel in der Abwasserwirtschaft umreißen. Und die Kombination dieser Einflussgrößen verursacht gerade in den kommunalen Pumpen-Stationen immer häufiger teure technische Ausfälle. Warum das so ist und welche Lösungen für Abhilfe sorgen, schildert Mario Hübner im Interview. Seine Expertise, gesammelt in über 40 Jahren Berufspraxis, bringt er bei WILO SE als Manager System-Engineering ein – unter anderem beim Troubleshooting verstopfungsanfälliger Pumpen-Stationen.
Herr Hübner, zunächst einmal pauschal gefragt: Was sind die aktuellen und künftigen Herausforderungen für die kommunale Abwasserwirtschaft?
Generell gesehen bereiten zwei gegenläufige Entwicklungen wachsende Probleme. Zum einen sparen die Bundesbürger im Haushalt aus ökologischen Gründen intensiv Wasser ein. Relativ gesehen nimmt dadurch aber der Feststoffanteil im Abwasser massiv zu. Als die Kanäle dimensioniert und gebaut wurden – viele davon in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg – ging man jedoch von einem ständig steigenden Wasserverbrauch aus. Nun reicht die Hydraulik in den meisten Abwasserkanälen nicht mehr aus, um die hohen Schmutzfrachten abzutransportieren. Das macht sich übrigens in Großstädten, wo viele Haushalte auf engem Raum angeschlossen sind, genauso stark bemerkbar wie auf dem Land mit stark sinkenden Bevölkerungszahlen.
Besonders große Schwierigkeiten verursacht aktuell darüber hinaus die steigende Beliebtheit von Feuchttüchern, insbesondere jener zur Intimreinigung. Statt diese Tücher im Mülleimer zu entsorgen, werfen sehr viele Nutzer sie einfach in die Toilette.
Was für Probleme verursachen denn Feuchttücher im Abwasser?
Feuchttücher bestehen aus festem Vlies. Im Gegensatz zum herkömmlichen Toilettenpapier lösen sich diese Vliesstoffe aber im Wasser nicht auf. Im Gegenteil: Sie verknoten sich zu langen Zöpfen, die sich dann in den Laufrädern der Pumpen verwickeln und diese blockieren. Ein weiteres Problem ist, dass sich die Vliesstoffe mit Fett vollsaugen, denn auch das Entsorgen von Essensresten oder Frittieröl über die Toilette ist mittlerweile leider gängige Praxis. Die Mischung aus Vlies und Fett kann aber schnell zu riesigen Pfropfen anwachsen, die die Leitungen nachhaltig verstopfen.
Können Sie das Ausmaß dieses Problems mit Zahlen verdeutlichen?
Grob kann man sagen, dass der Feststoffanteil im Abwasser in den letzten Jahren um rund zwei Kilogramm pro Person und Jahr zugenommen hat. Gleichzeitig sinkt aber der Wasserzulauf. Zum einen, weil die Verbraucher angehalten werden, Wasser zu sparen. Durch Abgaben auf versiegelte Flächen wird außerdem immer mehr Regenwasser in Zisternen aufgefangen und verwendet. Das ist zwar ökologisch nicht verkehrt, aber es fehlt als „Transportwasser“ in der Kanalisation. Also steigt die Konzentration an fester Schmutzfracht im Abwasser weiter an. Mit teuren Konsequenzen: Viele Klärwerktechniker berichten, dass sie früher zwei bis drei Mal im Monat wegen verstopfter Pumpen ausrücken mussten. Heute sind es zwei bis drei Einsätze pro Woche!
Das treibt natürlich die Kosten für Abwasser weiter in die Höhe. Welche technischen Lösungen gibt es?
Darauf gibt es keine pauschale Antwort. Jede Pumpenstation, jedes Klärwerk hat ganz individuelle Betriebsbedingungen. Wenn wir zum Troubleshooting gerufen werden, beginnt der Lösungsweg daher in der Regel damit, die Gummistiefel anzuziehen – und dann rein in den Schacht, um zu sehen, wie was läuft, oder eben nicht. Manchmal sind dann die Lösungen sogar ganz einfach.
Zum Beispiel?
Um hohe Feststoffanteile fördern zu können, müssen die Pumpen mit hohen Drehzahlen laufen. Da sind bei kleineren Abwassermengen zweipolige Motoren oft besser als vierpolige. Eine probate Lösung ist deshalb in manchen Fällen, vierpolige Motoren mit großen Laufraddurchmessern zu ersetzen durch zweipolige Pumpen mit kleineren Laufrädern. Und ungeachtet der Frage, wo der effizienteste Betriebspunkt einer Pumpe liegt, wirkt es manchmal Wunder, einfach die Motordrehzahl heraufzusetzen. Denn gerade beim Pumpenanlauf ist es wichtig, die hohe Feststoffkonzentration am Schachtboden mit hoher kinetischer Energie anzusaugen und aus dem Laufrad heraus zu fördern.
Ein anderer Lösungsansatz kann sein, Lufteinträge im Abwasser bei der Einleitung in den Pumpenschacht durch Leitbleche zu reduzieren. Oder den Ein- und Ausschaltspiegel der Pumpen an den Nasswetter- und den Trockenwetterzulauf anzupassen.
Wie sieht es mit Rechensystemen für Pumpenstationen zur Vorreinigung des Abwassers aus?
Auch das ist als Lösungsansatz denkbar. Und manchmal sogar unumgänglich. Aber der Abtransport gesammelter Feststoffe aus vielen über das Stadtgebiet verstreut liegenden Pumpenstationen und ihren Rechenwerken ist natürlich kostenintensiver als die zentrale Entsorgung im Klärwerk. Wirtschaftlicher ist es also, wenn das gesamte Abwasser bis zum Klärwerk durchgeleitet wird. Dazu hat Wilo beispielsweise Pumpenwerke der Baureihe EMUport entwickelt. Hier werden die Feststoffe in einem Vorbehälter separiert, noch bevor sie mit der Pumpe in Kontakt kommen. In einem weiteren Speicher wird das vorgereinigte Wasser gesammelt. Ist der definierte Füllstand erreicht, fördern die Pumpen das Wasser durch den Feststoffbehälter in die Druckleitung, sodass dabei alle festen Schmutzfrachten mitgerissen und weiter transportiert werden – also ohne dass sie die Pumpe passieren. Dadurch wird die häufigste Verstopfungsursache intelligent umgangen.
Bei bestehenden Anlagen können auch Mazeratoren nachgerüstet werden. Diese Häckselwerke zerkleinern grobe Feststoffe soweit, dass die Pumpe sie problemlos fördern kann.
Gibt es auch bei den Pumpen selbst neue Entwicklungen im Hinblick auf den steigenden Feststoffanteil?
Ja, natürlich. Aktuell arbeiten wir an einem Projekt, bei dem die Beschaffenheit des Abwassers detektiert und analog dazu die Pumpe bedarfsgerecht geregelt wird. Aber ganz entscheidend für den Schutz gegen Verstopfung der Pumpe ist ein geeignetes Laufrad.
Bis vor etwa acht Jahren liefen Einkanal¬laufräder recht störungsfrei. Als Reaktion auf die zunehmenden Beimengungen im Abwasser sind dann Freistromräder entwickelt worden. Doch mancherorts schaffen es auch diese Laufräder inzwischen nicht mehr, die Feststoffe zu befördern – speziell bei den Zopf bildenden Vliesstoffen. Daraufhin haben wir bei Wilo die sogenannten SOLID-Laufräder entwickelt. SOLID-G sind für Nennweiten von DN 80 bis DN 150 ideal, SOLID-T-Laufräder für Nennweiten ab DN 150 und größer.
Was ist das Besondere an diesen Laufrädern?
Vereinfacht gesagt: Die strömungsoptimierte Geometrie verhindert weitgehend, dass sich Feststoffe im Laufrad festsetzen – und steigert dennoch die Energieeffizienz. Der hydraulische Wirkungsgrad liegt bei den größeren Laufrädern bis zu 81 Prozent.
Bei dem geschlossenen SOLID-T Laufrad befinden sich keine Schaufeln im Saugbereich, um die sich Feststoffe wickeln können. Das Abwasser inklusive Feststoffe wird stattdessen wie in einen Topf gesaugt und dann über die beiden Augen des Laufrades weiter transportiert. Außerdem haben wir mit der CERAM-Beschichtung der Laufräder deutliche Standzeit-Verbesserungen erzielt. Je nach Hauptursache für die Aggressivität des Mediums wird die Beschichtung abgestimmt. Die vier Kategorien CERAM C0 bis C3 bieten Schutz vor chemisch aggressiven bis mechanisch abrasiven Wässern. Bei der Verkrustungsgefahr durch hohe Konzentrationen an Magnesium, Ammonium und Phosphat haben sich Teflon-Beschichtungen als wirkungsvoll gezeigt.
Sind die SOLID-Laufräder von Wilo also die universelle Lösung?
Sie sind in vielen Situationen eine ideale Lösung, aber natürlich nicht in allen. Denn jede Laufradgeometrie hat Vor- und Nachteile. Das ergibt sich schon aus der Physik. Es gilt, im Einzelfall den optimalen Kompromiss zwischen einem hohen Wirkungsgrad und einer bestmöglichen Unanfälligkeit gegen Verstopfungen zu finden. Auch modifizierte Einkanallaufräder nach dem heutigen Stand der Technik finden deshalb nach wie vor ihre berechtigte Anwendung und vor allem Freistromlaufräder für Pumpengrößen von DN 50 bis DN 150.
Steigende Reparatureinsätze, Ersatzinvestitionen, das alles kostet Geld. Wie sehen Sie die wirtschaftliche Entwicklung in der Abwasserwirtschaft?
Gerade in ländlichen Gebieten sehe ich die wirtschaftliche Entwicklung sehr problematisch, denn dort geht die Einwohnerzahl teilweise dramatisch zurück. Nach den jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes sind beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern an einem Kilometer Kanal nur noch 122 Einwohner angeschlossen. In den Stadtstaaten der Bundesländer sind es hingegen durchschnittlich 437 Einwohner. Mit anderen Worten: In ländlichen Regionen müssen die Kosten für die Infrastruktur der Abwasserentsorgung immer weniger Leute stemmen. Damit das für die Bürger bezahlbar bleibt, muss sich der Gesetzgeber in Sachen Gebührenordnung wohl künftig etwas einfallen lassen. Denn der Wasserverbrauch als Rechnungsgröße wird aufgrund der Erziehung zum Wassersparen nicht mehr lange tragen.
Als Quintessenz unseres Gesprächs: Wie können sich Kommunen wirtschaftlich und technisch für die künftigen Herausforderungen der Abwasserentsorgung wappnen?
Auf der technischen Seite können die Kommunen sich wappnen, indem sie Pumpen und Pumpenwerke bedarfsgerecht dimensionieren. Und zwar mit dem Ziel, dass möglichst wenig Störungen auftreten. Denn betriebssichere Pumpenstationen sparen mehr Geld als auf Energieeffizienz getrimmte. Ein einziger Reparatureinsatz kann die Strom-Ersparnis eines ganzen Jahres aufzehren. Außerdem arbeiten durch gesetzliche Vorgaben – wie die ErP-Richtlinie – moderne Pumpen ohnehin extrem energiesparend. Empfehlenswert ist es außerdem, bei der Auslegung von Pumpen auf jeden Fall das Know-how der Hersteller einzubeziehen.
Viele Kommunen haben zudem sehr gute Ergebnisse durch Aufklärungskampagnen erzielt: Werden die Verbraucher sensibilisiert und gelangen weniger Feststoffe ins Abwasser, rechnen sich solche Kampagnen nachhaltig. Abgesehen davon gibt es bereits einen Vliesstoff, der sich in bewegtem Wasser binnen drei Stunden auflöst. Hersteller ist die Firma Kelheim Fibres GmbH. Derzeit führen wir mit Feuchttüchern aus diesem Vlies Laborversuche und Feldtests in einer Kommunen durch. Sollten sich Verstopfungen von Pumpen damit drastisch senken lassen, könnte eine gesetzliche Vorschrift solcher Grundstoffe enorme Kosten beim Abwassertransport sparen.
Als dritter Ansatzpunkt sollte überlegt werden, mit welchen Maßnahmen die Wassereinleitung ins Kanalnetz gefördert oder behindert wird. Je weniger Wasser eingeleitet wird, umso mehr leidet die Infrastruktur. Und das verursacht wiederum ein Vielfaches an Kosten.
Weitere Informationen:
www.wilo.com