Energie: Forschung

Wir wollen die Energiewende zum Verbraucher bringen

Energiewende zum Verbraucher
TUM CoSes Labor an der MSE Munich School of Engineering 2019/ CoSES laboratory at the MSE Munich School of Engineering 2019. © Stefan Hobmaier / TUM

Interview mit Prof. Thomas Hamacher über den Energiemarkt der Zukunft und was die Verbraucher erwartet

Im neu eröffneten „Zentrum für Gekoppelte Intelligente Energiesysteme“ untersuchen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der Technischen Universität München (TUM) sogenannte Inselnetze, auch Microgrids genannt. Diese sind für die Umsetzung der Energiewende unverzichtbar. Prof. Thomas Hamacher, Direktor der Munich School of Engineering (MSE), erklärt, warum wir in den nächsten Jahren den Energiesektor umfassend verändern müssen.

Prof. Thomas Hamacher © A.Eckert / TUM

Herr Prof. Hamacher, was ist ein Microgrid?
In Zukunft werden die passiven Verteilnetze, die den Strom zum Verbraucher bringen, zu aktiven Verteilnetzstrukturen umgebaut, den Microgrids. Diese organisieren durch die Schaffung neuer Marktstrukturen die Erzeuger, Speicher, flexiblen Verbraucher und Verbindungen zur übergeordneten Netzebene. Die Microgrids sind aber auch für die Bereitstellung von Netzdienstleistungen wie Frequenz- und Spannungshaltung verantwortlich. Da Microgrids aktive Elemente im Stromsystem sind, können sie die Regelung deutlich vereinfachen.

Wozu brauchen wir in Zukunft Microgrids?
Der starke Ausbau der erneuerbaren Energien verursacht zwei zentrale Probleme. Erstens: Wie können die Schwankungen der erneuerbaren Energien am besten integriert werden. Und zweitens: Wie können wir mehr Strom zum Verbraucher bringen, da die erneuerbaren Energien hauptsächlich Strom liefern und Strom auch effizienter genutzt werden kann. Beispiele für die neuen elektrischen Verbraucher sind Wärmepumpen für die Wärmeversorgung oder Elektroautos im Bereich der Mobilität. In beiden Fällen wird die Effizienz gesteigert, aber es wird insgesamt deutlich mehr Strom in den Häusern verbraucht. Die Hoffnung ist, dass die zusätzliche elektrische Leistung in das Microgrid ohne einen zusätzlichen Ausbau der Netzinfrastruktur möglich wird.

Was genau untersuchen Sie im neuen Labor?
Das Labor besitzt alle Elemente eines zukünftigen Microgrids, nur die Bewohner der Häuser fehlen. Wir untersuchen die Wechselwirkung zwischen Verbraucher und Energieerzeuger. Dabei simulieren wir vier Häuser und ein Mehrfamilienhaus, die unterschiedliche Heiztechniken nutzen. Als Heiztechnik kommt von konventionellen Gasbrennern über Blockheizkraftwerke bis zu Wärmepumpen alles zum Einsatz. Auch Wärmespeicher und eine kleines Nahwärmenetz können abgebildet werden. Diese Systeme haben wir im Labor nachgebaut. Damit bringen wir den erneuerbaren Strom mit der Wärmeversorgung zusammen. Wir wollen die Stromnutzung im gesamten Haushaltsbereich durchspielen. Auch die Ladestationen für Elektroautos, die sich vor unserem Gebäude, dem Zentrum für Energie und Information in Garching, befinden, werden in das System einbezogen. Die Kommunikation zwischen den einzelnen Elementen kann auf verschiedene Weise durchgeführt werden. Hier haben wir Kollegen mit entsprechendem Fachhintergrund mit in das Projekt einbezogen. Um ein solches Netz in Zukunft optimal zu betreiben, müssen gute Vorhersagen über das Verhalten der Nutzer und auch über das Wetter getroffen werden. Dabei werden Techniken der künstlichen Intelligenz eine Rolle spielen.

Von der Energiewende wird ja schon lange gesprochen, denken Sie, dass sie nun wirklich umgesetzt wird?
Wir haben nie aufgehört, daran zu arbeiten. Mit unserer Forschung wollen wir die Energiewende zum Verbraucher bringen. Um das Ziel der Bundesregierung zu erreichen, Deutschland bis 2050 klimaneutral zu machen, muss die Energiewende in den nächsten 20 Jahren umgesetzt werden. Wir wollen der Politik die nötigen Informationen liefern, um die Regulierung zu gestalten. Die Menschen müssen aber bereit sein, bei den Veränderungen mitzumachen. Der Energiesektor kann nicht über Nacht umgestellt werden. Das ist eine Aufgabe für Jahrzehnte. Dabei geht es nicht nur um die Regulierung, sondern es stellen sich auch Fragen wie: Wer übernimmt die technische Umsetzung? Wir brauchen Leute, die Elektrotechnik und Heizungsbau verbinden können. Hier müssen wir es schaffen, als Universität mit Bildungsauftrag einen Schritt weiterzugehen als wir es sonst tun. Und zwar nicht nur fähige Ingenieure auszubilden, sondern zum Beispiel auch Fortbildungsmöglichkeiten für Handwerker anzubieten.

Weitere Informationen zum Zentrum für Gekoppelte Intelligente Energiesysteme


Die Technische Universität München (TUM) ist mit rund 550 Professorinnen und Professoren, 41.000 Studierenden sowie 10.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine der forschungsstärksten Technischen Universitäten Europas. Ihre Schwerpunkte sind die Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften, Lebenswissenschaften und Medizin, verknüpft mit den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Die TUM handelt als unternehmerische Universität, die Talente fördert und Mehrwert für die Gesellschaft schafft. Dabei profitiert sie von starken Partnern in Wissenschaft und Wirtschaft. Weltweit ist sie mit dem Campus TUM Asia in Singapur sowie Verbindungsbüros in Brüssel, Kairo, Mumbai, Peking, San Francisco und São Paulo vertreten. An der TUM haben Nobelpreisträger und Erfinder wie Rudolf Diesel, Carl von Linde und Rudolf Mößbauer geforscht. 2006 und 2012 wurde sie als Exzellenzuniversität ausgezeichnet. In internationalen Rankings gehört sie regelmäßig zu den besten Universitäten Deutschlands.