Wie kann es gelingen, attraktive und vielfältige Grünflächen in Kommunen zu erhalten und neue zu schaffen, Bürger zu sensibilisieren und ihnen Naturerfahrung und Erholung in ihrem direkten Lebensumfeld zu ermöglichen? Diese Fragen standen im Mittelpunkt einer Diskussion, zu der die Messe Essen in Kooperation mit dem Bund deutscher Baumschulen (BdB) e.V. und der Stiftung DIE GRÜNE STADT auf die Fachmesse IPM 2018 nach Essen eingeladen hatte. Unter dem Titel „Biologische Vielfalt im privaten und öffentlichen Grün von Kommunen – Möglichkeiten und Grenzen“ tauschten sich Fachleute aus Kommunen und Vertreter der grünen Branche aus. Ausgangspunkt waren jüngere Meldungen über den dramatischen Rückgang der Populationen von Insekten und Vögeln einerseits, aber auch die Tatsache, dass die Artenvielfalt an Tieren und Pflanzen im Siedlungsraum tendenziell höher ist als in der freien Landschaft.
Versmolder Blüten-Mehr
Der Imker Friedrich-Wilhelm Brinkmann stellte mit Verve und anhand vieler Bilder das Projekt „Versmolder Blüten-Mehr“ vor, das seit 2011 besteht. „Im ersten Schritt ging es darum, das Interesse vor Ort zu wecken und einen möglichst breiten Konsens herzustellen. „Wir haben mit dem Bürgermeister und der Verwaltung gesprochen, aber auch Multiplikatoren aus Heimatvereinen, Siedlerbünden, lokalen Stiftungen und interessierten Bürgerinnen und Bürgern gesucht. Dann galt es, gemeinsam mit der Verwaltung Flächen in der Stadt zu finden, die Böden vorzubereiten und spezielle Blütenmischungen auszusäen.“ Schon im ersten Jahr standen so in der Stadt viele nektar- und pollenspendende Blüten zur Verfügung; die Ästhetik der bunten Flächen entwickelte auch eine wachsende Sensibilität und sogar Begeisterung für den öffentlichen Raum. Mehr und mehr Bürger und lokale Unternehmen engagierten sich und heute ist das Projekt „Versmolder Blüten-Mehr“ fest etabliert und hat überregional Aufmerksamkeit für die Stadt geschaffen.
Vielfalt erlebbar machen
In der Stadt Andernach ging man einen anderen Weg: die Stadt wurde zum „Lebens-Mittel-Punkt“ gemacht, die Bürger sollten Nutzpflanzen im öffentlichen Grün erleben und sich stärker untereinander und mit ihrer Stadt identifizieren. Dr. Lutz Kosack ist im Amt für Stadtplanung und Bauverwaltung der Stadt unter anderem verantwortlich für das Projekt „Essbare Stadt“. Er betreut das Projekt maßgeblich und hat es seit 2010 zu einem der größten und bekanntesten „Urban Agriculture“-Projekte ausgebaut. Heute finden sich in den öffentlichen Grünflächen Gemüsepflanzen und Obstbäume, in der Innenstadt stehen große Pflanzkübel mit individuell auf die nahegelegenen Geschäfte abgestimmten Sortimenten. Ziel der Akteure war es, Alternativen zum Einheitsgrün zu entwickeln und die Bürger für das Grün in der Stadt zu interessieren. Kosack: „Statt ‚Betreten verboten‘-Schilder aufzustellen, sagten wir einfach ‚Pflücken erlaubt‘. Das kam bei der Bevölkerung gut an und weckte zusätzliches Interesse am gemeinsamen Projekt.“ In jedem Jahr gibt es einen Themenschwerpunkt, unter dem die Stadt die Arten- und Sortenvielfalt von Nutzpflanzen für die Menschen erlebbar macht.
Grünflächen – mehr als Grün
Landschaftsarchitekt Thomas Dietrich von der Planergruppe Oberhausen richtete den Blick in die Zukunft: Vor dem Hintergrund einer sich verändernden Mobilität und des Klimawandels zeigte er am Beispiel von verschiedenen Projekten im Ruhrgebiet auf, wie sich die Anforderungen an den Freiraum verändern. Dietrich: „Ob privater Garten, Wald, Park oder Straßenrand – alle nicht bebauten Flächen sind heute multikodiert und erfüllen eine Vielzahl von Funktionen. Die Planung und Pflege bestimmen wesentlich, ob eine Grünfläche eher soziale, ökologische, ökonomische, ästhetische oder praktische Aufgaben für die Gesellschaft erfüllt. In jedem Falle geht es darum, die Flächen für die Menschen erlebbar zu machen.“ Dietrich wies auch auf ein Paradox hin, das sich in Deutschland immer wieder zeigt. In Bürgerbefragungen wird mit schöner Regelmäßigkeit mehr Platz für Bäume und Wasser in Städten gefordert, mehr Raum für Fahrräder und Fußgänger und eine Reduktion des Autoverkehrs. „Geht man aber an den Rückbau von Parkplätzen, ist der Aufschrei groß!“ Er verwies auf das Beispiel der Stadt Kopenhagen, wo in Anpassung an die sich ändernde Mobilität weg vom Auto jährlich zwei Prozent des öffentlichen Parkraums entsiegelt wird. Allein daraus entstehe ein Grünflächenpotenzial von mehr als 300.000 Quadratmetern mehr Grün pro Jahr und damit nicht zuletzt mehr Lebensraum für Pflanzen und Tiere in der Stadt. DGS