Stadtraum

Die Stadt muss schwitzen, um kühler zu werden

Prof. Dr. Helmut Grüning
Prof. Dr. Helmut Grüning forscht an der FH Münster zu Stadtbegrünung und Starkregenvorsorge. © FH Münster, Frederik Tebbe

Interview zum Thema Hitzeschutz im urbanen Raum mit Prof. Dr. Helmut Grüning von der FH Münster, Fachbereich Energie – Gebäude – Umwelt

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will mit einem Hitzeschutzplan Bürger*innen in Deutschland besser vor den Gefahren hoher Temperaturen warnen. Welche das sind und was man dagegen tun kann, ordnet Prof. Dr. Helmut Grüning vom Fachbereich Energie – Gebäude – Umwelt ein.

Herr Prof. Dr. Grüning, Sie sind derzeit viel unterwegs und ein gefragter Gesprächspartner zur klimasensitiven Stadtentwicklung. Kommt das Thema jetzt im Sommer häufiger für Sie auf?
Prof. Dr. Helmut Grüning: Generell ist das Thema momentan sehr gefragt – mehr als zum Beispiel noch vor drei Jahren. Ich war in den vergangenen Wochen auf Tagungen in Dresden, Mannheim, Erlangen und in Lübeck, bald fahre ich nach Hamburg. Hitze und Starkregen sind zu einer maßgeblichen Herausforderung der Gegenwart geworden. Seit einem Jahr halte ich an unserer Hochschule auch eine Vorlesung zur klimasensitiven Stadtentwicklung.

Insbesondere Innenstädte heizen im Sommer stark auf. Was kann man tun, um sie klimasensitiver zu gestalten?
Wichtig ist vor allem die Steigerung von Verdunstungsprozessen im urbanen Raum. Dazu müssen wir beispielsweise auf dunkle Asphaltflächen verzichten: Diese absorbieren viel Strahlungsenergie der Sonne und heizen sehr stark auf, es kommt jedoch nicht zur Verdunstung. Und die ist wichtig: Bei natürlichen und feuchten Böden wird Energie durch Verdunstung quasi „abtransportiert“. Das ist vergleichbar mit dem menschlichen Körper, der schwitzt und damit abkühlt. Wir müssen die Stadt also „zum Schwitzen bringen“!

Und wie gelingt das?
Es gelingt durch sogenannte blau-grüne Infrastrukturmaßnahmen: Wir schaffen Bodenfeuchte durch Grünbepflanzung oder offene Wasserflächen. Semiaquatische und aquatische Vegetation wie feuchte Wiesen oder Schilfpflanzungen haben die höchste Evaporations- und Kühlleistung. Das sind in meinen Augen völlig unterschätzte Maßnahmen.

Was empfehlen Sie darüber hinaus?
Wichtig ist natürlich auch, Bäume zu pflanzen, die Schatten spenden und Verdunstungsprozesse in Gang bringen. Wir forschen an Baumrigolen, die Regenwasser aufnehmen und die Bäume bewässern. Städtebaulich müsste sich auch etwas ändern: Neben mehr Grünflächen, kleinen Parks und Wasserspielen wie zum Beispiel Springbrunnen müssten Gebäude so errichtet werden, dass zwischen ihnen Luftschneisen entstehen können und ein Luftaustausch zwischen dem inner- und dem außerstädtischen Raum möglich ist, um urbane Hitzeinseln zu vermeiden. Mir ist bewusst, dass dies ein langfristiger Prozess ist, der nach und nach umgesetzt werden müsste. Das geht nicht schnell und simpel, es ist teuer, aber nur so können wir den Herausforderungen begegnen, die durch Trockenheit und auch Starkregen verstärkt auftreten.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will mit einem Hitzeschutzplan die Bevölkerung in Deutschland stärker vor den Gefahren zunehmender Hitze warnen. Welche Gefahren bergen die hohen Temperaturen?
Das können zum Beispiel ganz konkrete Hitzeschäden sein: Krämpfe, die bis zum Kollaps führen, oder ein Hitzeschlag. Außerdem droht die Dehydrierung, wenn man nicht genug Wasser trinkt. Flüssigkeitsmangel kann zu Thrombose, Nierenversagen und Herz-Kreislauferkrankungen führen. Im Rekordhitzejahr 2018 hat es weltweit 20.000 Todesfälle gegeben, die direkt auf Hitze zurückzuführen sind. Bei den hohen Temperaturen vermehren sich invasive Arten wie bestimmte Zecken oder Tigermücken, die Infektionskrankheiten übertragen. Die steigende UV-Belastung kann vermehrt Hautkrebs verursachen. Denkbar ist auch ein erhöhtes Allergierisiko, da sich zum Beispiel die Pollensaison verlängert. Außerdem führen Zukunftsängste, die solche Hitzeszenarien auslösen können, zu psychischen Erkrankungen.

Wie verhalte ich mich bei Hitze richtig, um diesen Gefahren vorzubeugen?
Es ist wichtig, Schatten und kühle Räume aufzusuchen, viel zu trinken und die direkte Sonne zu meiden. Ab einer bestimmten Temperatur sollte, wenn möglich, auch die Arbeit im Freien eingestellt werden. Städte könnten hier reagieren, indem sie mehr Trinkbrunnen und Schattenflächen etwa durch Baumgruppen mit dazugehörigen Sitzgelegenheiten schaffen. Und wenn es nachts zu heiß in der Wohnung wird, helfen eine kalte Dusche oder ein nasses Handtuch.