Mobilität: Forschung

Mehr Sicherheit für Fußgänger im Stadtverkehr

Fahrerbeobachtung
Mit Fahrerbeobachtung können unaufmerksame Fahrer rechtzeitig gewarnt werden, bevor sich eine riskante Verkehrslage anbahnt. © Bosch

Auf dem Weg zum automatisierten Fahren in der Stadt

Der Verkehr in Städten ist oft dicht und unberechenbar. Autos teilen sich die Straßen mit Fahrradfahrern, Motorrädern, Lkw und Bussen. Geparkt wird nicht selten in zweiter Reihe und Fußgänger queren gerne auch mal völlig unverhofft die Fahrbahn. Kaum vorstellbar, dass Fahrzeuge hier in Zukunft komplett selbständig unterwegs sein sollen. „Automatisiertes Fahren kommt auch in der Stadt. Ausgehend von Fahrerassistenzsystemen wird der Automatisierungsgrad schrittweise erhöht“, sagt Dr. Dietrich Manstetten von der zentralen Forschung und Vorausentwicklung der Robert Bosch GmbH. Die technischen Voraussetzungen dafür schafft Manstetten zusammen mit seinem Kollegen Dr. Lutz Bürkle und einem 11-köpfigen Bosch-Team in der Forschungsinitiative UR:BAN. Dabei sind den Forschern große Fortschritte gelungen: „Wir haben den Autos unter anderem beigebracht, in die Zukunft zu schauen und bei einer drohenden Kollision mit Fußgängern den Fahrer beim Ausweichen zu unterstützen“, erklärt Bürkle. Die Ergebnisse der Arbeit zeigte das Team mit Testfahrzeugen bei der Abschlusspräsentation des UR:BAN-Projekts am 7. Oktober in Düsseldorf.

Ausweichassistent verhindert bis zu 58 Prozent der Fußgängerkollisionen

Automatisierte Fahrfunktionen erfordern eine zuverlässige Erfassung des Fahrzeugumfelds durch Sensoren. „Nur wenn wir genau wissen, was ums Auto herum passiert, können wir daraus die richtige Fahrstrategie ableiten“, sagt Bürkle. Für die Umfelderfassung setzt Bosch unter anderem auf seine Stereo-Videokamera, die auch schon in Serienmodellen eingesetzt wird. Hinter der Windschutzscheibe im Bereich des Innenspiegels installiert, erfasst die Kamera die Straße vor dem Testfahrzeug und liefert ihre Informationen an einen Rechner im Kofferraum. Mehr als zehn Mal pro Sekunde wertet der Computer die Daten aus. Doch Bosch geht sogar noch weiter: „Wir lassen den Computer mit intelligenten Algorithmen berechnen, wie sich das Umfeld ändert und wohin sich Objekte bewegen“, so Bürkle. Die Bosch-Technik erkennt Passanten und Radfahrer nicht nur im Hier und Jetzt. Sie weiß auch, wo sie sich eine Sekunde später in der Zukunft aufhalten. Das bietet neue Möglichkeiten für den Fußgängerschutz.

Fußgänger

Lässt sich eine Kollision mit einem plötzlich auftauchenden Passanten allein durch Bremsen nicht mehr verhindern, berechnet das Assistenzsystem unter Berücksichtigung des sonstigen Verkehrs blitzschnell einen Ausweichpfad. © Bosch

Die Bosch-Forscher haben darauf basierend ein Assistenzsystem entwickelt, das vor einem drohenden Zusammenstoß mit einem Fußgänger eingreift. Bis Tempo 50 hilft das System Autofahrern beim Bremsen und Ausweichen. Lässt sich eine Kollision mit einem plötzlich auftauchenden Passanten allein durch Bremsen nicht mehr verhindern, berechnet der Assistent unter Berücksichtigung des sonstigen Verkehrs blitzschnell einen Ausweichpfad. Sobald der Autofahrer per Steuereingriff das lebensrettende Fahrmanöver startet, unterstützt ihn das System beim Lenken. „Reagiert der Fahrer mindestens eine halbe Sekunde vor der Kollision, kann das Assistenzsystem unseren Untersuchungen zufolge 58 Prozent der Zusammenstöße verhindern“, so Bürkle. Am besten ist aber, solche Situationen von vornherein zu vermeiden. Brenzlige Fahrsituationen entstehen, wenn Autofahrer abgelenkt sind und nicht auf die Straße schauen. Die Lösung von Bosch dazu lautet: Fahrerbeobachtung. „Kleine Kameras im Innenraum erkennen anhand der Blickrichtung, ob der Fahrer aufmerksam ist oder nicht“, sagt Manstetten. Rechtzeitig bevor sich eine riskante Verkehrslage anbahnt, können unaufmerksame Fahrer gewarnt werden. Bosch setzt hier auf Anzeigen im Kombiinstrument oder eine LED-Leiste am Armaturenbrett direkt im Fahrerblickfeld.

Erkenntnisse aus Projekt fließen in die Arbeit am automatisierten Fahren

Der Verkehrsraum Stadt hält noch weitere Herausforderungen bereit. Dazu gehören das Abbiegen und das Durchfahren von Engstellen. Beim Abbiegen werden Fußgänger schnell übersehen, die die einmündende Straße von rechts oder links überqueren wollen. Für solche Situationen haben Manstetten, Bürkle und Kollegen einen Assistenten entwickelt, der querende Passanten erkennt und rechtzeitig vor einem Unglück das Auto zum Stehen bringt. Noch einen Schritt weiter geht der Engstellenassistent. Er manövriert ein Auto überall dort hindurch, wo es zum Beispiel aufgrund von Zweite-Reihe-Parkern eng wird. Auf Basis der Bilder der Stereo-Videokamera berechnet der Computer einen alternativen Fahrweg. Die elektrische Servolenkung wird dann so gesteuert, dass in Engstellen ein sicheres Vorwärtskommen möglich ist. Auch unpassierbare Stellen erkennt das Bosch-System, warnt den Fahrer oder stoppt das Auto rechtzeitig automatisch, bevor Außenspiegel oder Kotflügel zu Bruch gehen.

Die Erkenntnisse aus der Arbeit des Forscherteams um Manstetten und Bürkle im Projekt UR:BAN fließen bei Bosch eins-zu-eins in die Entwicklung des automatisierten Fahrens. Darum kümmert sich das Technologie- und Dienstleistungsunternehmen bereits seit 2011 an zwei Standorten – im baden-württembergischen Abstatt und im kalifornischen Palo Alto. Seit Anfang 2013 ist Bosch mit automatisierten Testfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr auf der Autobahn A81 und der US-Interstate I280 unterwegs. Entwicklungsziel ist zunächst der Autobahnpilot. 2020 sollen Autos mit Bosch-Technik selbstständig über Autobahnen fahren können, ohne dass der Fahrer sie ständig überwachen muss.


Ein Projekt, ein Ziel und 31 Partner aus Industrie und Wissenschaft

UR:BAN (Urbaner Raum: Benutzergerechte Assistenzsysteme und Netzmanagement) ist ein öffentlich gefördertes Verbundprojekt. Darin haben sich 31 Partner aus der Automobil- und Zulieferindustrie, von Elektronik-, Kommunikations- und Softwareunternehmen, Universitäten sowie Forschungsinstitute und Städte zusammengeschlossen. Ziel ist es, Fahrerassistenz- und Verkehrsmanagementsysteme für die Stadt zu entwickeln. Fahrerassistenzsysteme sind wichtige Wegbereiter für das automatisierte Fahren. Finanziell unterstützt wird die Arbeit vom Bundeswirtschaftsministerium mit zirka 40 Millionen Euro. Die Gesamtkosten für das Projekt UR:BAN belaufen sich auf ungefähr 80 Millionen Euro.


Weiterführende Links:
www.urban-online.org

www.automated-driving.com