Infrastruktur

Resiliente Infrastrukturen: Neue Konzepte für höhere Sicherheit

Forschungsprogramm mit Prof. Kok-Kwang Phoon
© Willi Heidelbach auf Pixabay

Prof. Kok-Kwang Phoon forscht zur Sicherheit von Infrastrukturen am Institut für Risiko und Zuverlässigkeit (IRZ) der Leibniz Universität Hannover

Dank der Unterstützung durch einen Humboldt-Forschungspreis forscht Prof. Kok-Kwang Phoon von der National University of Singapore aktuell am Institut für Risiko und Zuverlässigkeit (IRZ) der Leibniz Universität Hannover an neuen technischen Methoden, damit Ingenieure künftig Risiken für Infrastruktursysteme besser abschätzen können.

Gemeinsam mit seinem Gastgeber am IRZ, Prof. Dr.-Ing. Michael Beer, entwickelt der weltweit anerkannte und vielfach ausgezeichnete Ingenieur für Geotechnik während seines Aufenthalts bis Ende November ein Konzept für ein gemeinsames Forschungsprogramm zum Thema Resilienz von Infrastrukturen. Darin wollen die Ingenieure Lösungsansätze finden, damit für die Gesellschaft lebenswichtige, komplexe Systeme wie Verkehrswege oder Stromnetze möglichst störungsfrei funktionieren und gleichzeitig flexibel auf Störungen und wechselnde Belastungen reagieren. Die enge Anbindung des IRZ an internationale Forschungsnetzwerke sei ein idealer Startplatz für ein solches Vorhaben, so Phoon.

Traditionell stellen Bauingenieure Bauwerke und Anlagen bereit, die Menschen vor Naturgewalten schützen. Eine der größten Schwierigkeiten ist es dabei, abzuschätzen, welchen Naturgewalten und Belastungen das Bauwerk in den nächsten 50 Jahren standhalten muss. Wird es Erdbeben geben, Überschwemmungen? Und wenn ja, in welcher Stärke? „Leider gibt es keine Glaskugel, die die größtmögliche Gefahr vorhersagen kann“, sagt Kok-Kwang Phoon. Wenn Ingenieure Risiken berechnen, bestimmen sie bisher die schlimmsten anzunehmenden Szenarien wie eine 100-jährige Flut oder ein 200-jähriges Erdbeben auf der Grundlage historischer Aufzeichnungen. Phoon sieht diese Praxis durch drei Veränderungen herausgefordert: „Das Klima verändert sich. Die Technik verändert sich. Die Gesellschaft verändert sich.“ Extreme Szenarien könnten durch den Klimawandel in Zukunft häufiger auftreten als erwartet, und zugleich entstünden auch neue Risiken, die bisher nicht berücksichtigt wurden. Gleichzeitig kann man sich heutige Bauwerke nicht mehr als eigenständige Anlagen vorstellen. Die Komplexität hat sich erhöht, insbesondere durch digitale Technologien. Ob bei Strom- oder Verkehrssystemen – neue Vernetzungen und damit Abhängigkeiten zwischen Komponenten und Systemen treten auf und können sich auf unvorhergesehene Weise gegenseitig beeinflussen: Fällt eine Komponente aus, kann das eine ganze Kaskade an weiteren Ausfällen nach sich ziehen.

„Es ist nicht möglich, Fehler korrekt zu erfassen, wenn ein technisches System isoliert von anderen Systemen, an die es angeschlossen ist, bewertet wird“, sagt Phoon. Gerade in einem sich verändernden und weniger vorhersehbaren Umfeld sieht er dynamische Konzepte als zukunftsweisend. Ähnlich wie natürliche Ökosysteme sollten solche Systeme Fähigkeiten mitbringen, um sich selbst zu überwachen, zu reagieren, zu lernen, vorherzusehen und sich „selbst heilen“ zu können. Ein Ansatz sind dabei innovative statistische und andere Daten-getriebene Methoden, um bisherige Modelle und das Erfahrungswissen von Ingenieuren zu ergänzen. Dabei setzt Phoon auf Big Indirect Data (BID). Im Gegensatz zu Kennzahlen, die Ingenieure tagtäglich direkt an Anlagen messen, sind das Daten, die bei vernetzten Systemen indirekt Aufschluss über die Komponenten geben können. Unzureichende standortspezifische Daten könnten Daten von „ähnlichen“ Standorten weltweit ergänzen und so Ingenieure bei Planungen unterstützen.

In Phoons Heimat Singapur sind die Auswirkungen des Klimawandels bereits deutlich zu spüren. Der steigende Meeresspiegel bedroht die Insel. Als ehemaliger Direktor des Lloyd’s Register Foundation Institute for the Public Understanding of Risk an der National University of Singapore, sieht es Phoon als entscheidend an, die Bevölkerung bei Entscheidungen zu Schutzmaßnahmen mitzunehmen und so eine ausgewogenere, risikoorientierte Entscheidungsfindung zu ermöglichen. Denn Experten nehmen Risiken anders wahr als beispielsweise von Überflutungen bedrohte Anwohner. „Wenn wir diese Lücke in der Risikowahrnehmung nicht schließen, könnten möglicherweise innovative Ansätze für einige unserer größten Probleme nicht zum Zuge kommen“, sagt Phoon. Beziehe man die lokale Bevölkerung bei Entscheidungen mit ein, könne man zudem einen Vertrauensverlust gegenüber Entscheidungsträgern verhindern, wenn Lösungsansätze scheitern. „Community Resilience“ ist ein Ansatz, der weltweit an Bedeutung gewinnt. Insgesamt zielt das Konzept darauf ab, dass Gesellschaften auf eine Krise besser reagieren und sich schneller von den Folgen erholen. Auch in ihrem gemeinsamen Forschungsvorhaben wollen Phoon und sein Gastgeber Beer daher gemeinsam mit Kollegen an innovativen Kommunikationskonzepten arbeiten, um in einer immer stärker vernetzten Welt die Kluft zwischen Fachdisziplinen, aber auch zwischen Experten und der Bevölkerung zu schließen.

Termin-Tipp: Technik-Salon „How do we survive the future?“

Vom 23. bis 26. September ist Hannover das Zentrum der Risikoforschung. Auf der European Safety and Reliability Conference (ESREL) 2019, die vom Institut für Risiko und Zuverlässigkeit an der Leibniz Universität Hannover veranstaltet wird, diskutieren Wissenschaftler ihre Forschungsansätze, um Infrastrukturen in Zeiten zunehmender Digitalisierung und des Klimawandels sicherer und zuverlässiger zu machen. Um alle Interessierten in die Diskussion einzubeziehen, findet am Dienstag, den 24. September 2019 um 19 Uhr im Kali-Chemie-Saal der Leibniz Universität Hannover (Callinstraße 9, 30167 Hannover) ein Technik-Salon zum Thema „How do we survive the future?“ statt. Kok-Kwang Phoon wird mit anderen internationalen Wissenschaftlern, die an der European Safety and Reliability Conference (ESREL) teilnehmen, und mit dem Publikum diskutieren. Die Veranstaltung findet größtenteils in englischer Sprache statt.

Weitere Informationen:
www.technik-salon.de


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