Der Anteil von Gebäuden am gesamten Energieverbrauch in Deutschland beträgt fast 40 Prozent. Das Heizen, Kühlen und Lüften von Wohnhäusern, Büroimmobilien und öffentlichen Bauten ist kostenintensiv. Energieverschwender sind vor allem Bürogebäude mit großflächigen Glasfassaden. Im Sommer verwandeln sie sich in Treibhäuser, die nur aufwendig klimatisiert werden können. Im Winter steigt der Heizbedarf wegen der nicht ausreichenden Wärmedämmung der Glasflächen enorm. Um den Energieverbrauch zu senken, entwickeln Forscher vom Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU in Dresden gemeinsam mit dem Fachgebiet Textil- und Flächen-Design der Weißensee Kunsthochschule Berlin Fassadenkomponenten, die autark auf Sonneneinstrahlung und die dadurch entstehende Wärme reagieren.
Stoff-Jalousie im Glas von der Sonne gesteuert
„Wir benötigen keinen Strom, sondern nutzen ausschließlich die Wärmeenergie der Sonne, um das Fassadenelement zu steuern“, sagt André Bucht, Wissenschaftler und Abteilungsleiter am IWU. „Innovative Technologie mit Gestaltung zu vereinen, war die Herausforderung bei diesem Projekt“, ergänzt Prof. Christiane Sauer von der Weißensee Kunsthochschule. „Wenn Gestalter und Wissenschaftler zusammenarbeiten, lassen sich zukunftsweisende Wege für intelligente Gebäudehüllen erschließen.“ Ein auf der Hannovermesse gezeigter Demonstrator, der auf einem Entwurf der Designstudentin Bára Finnsdottir basiert, besteht aus einer Matrix von 72 einzelnen textilen Bauteilen, die wie Blüten aussehen. In die textilen Module integriert sind Formgedächtnisaktoren. Dabei handelt es sich um dünne, 80 Millimeter lange Drähte aus einer Nickel-Titan-Legierung, die sich an ihre Ausgangsform erinnern, wenn sie erhitzt werden. Erwärmt sich die Fassade durch die auftreffenden Sonnenstrahlen, werden diese Drähte aktiviert. Sie ziehen sich zusammen und öffnen dadurch geräuschlos die textilen Komponenten. Die offene Fläche des Fassadenelements schließt sich und das Sonnenlicht kann nicht in den Raum eindringen. Verschwindet die Sonne hinter den Wolken, schließen sich die Elemente und die Fassade ist wieder transparent. Der Effekt beruht auf einer besonderen Gitteranordnung im Werkstoff. „Verbiegt man den Draht, behält er die Form. Erwärmt man ihn, erinnert er sich an die ursprüngliche Gestalt, die er vor dem Verbiegen hatte, und nimmt sie wieder ein. Man kann sich das Fassadenelement als Membran vorstellen, die sich den tages- und jahreszeitlichen Witterungsbedingungen anpasst und für jeden Sonnenstand den optimalen Schatten bietet“, erklärt Bucht.
Der für großflächige Verglasungen konzipierte Sonnenschutz wird wahlweise an der äußeren Fensterscheibe oder im Zwischenraum einer mehrschichtigen Klimafassade angebracht. Die neuartige Struktur lässt sich problemlos nachinstallieren und bietet vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten. Sowohl Muster, Geometrie als auch Farbe der einzelnen Bauteile lassen sich einstellen. „Beispielsweise könnten Dreiecke oder Waben die runden Formen ersetzen. Außerdem lassen sich Bereiche individuell verschatten – etwa nur die linke obere Fläche. Auch an gekrümmte Glasflächen passt sich die Membran an. Wir sind in der Lage, uns beim Design von der Gebäudeform zu lösen“, sagt der Forscher.
Im nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler zusammen mit Industriepartnern verschiedene Prototypen für Privat- und Bürogebäude entwickeln, die in Langzeituntersuchungen an einem Einfamilienhaus sowie am Institutsgebäude getestet werden sollen. „Unter anderem müssen wir die textilen Elemente so stabil konstruieren, dass sie allen Witterungsbedingungen standhalten“, beschreibt Bucht die anstehenden Forschungsarbeiten. Geplant sind sowohl Versionen für den Neubau als auch Varianten, um Altbauten nachzurüsten. Mitte 2017 sollen die Systeme marktfähig sein.
Doch die Forscher haben noch weitere Ideen für die Fassaden der Zukunft: Angedacht ist, das Fassadenelement mit zusätzlichen klimatischen Funktionen wie einer schaltbaren Wärmedämmung auszustatten. „Man könnte die Wärme der Sonne speichern und bedarfsgerecht, etwa in der Nacht, zum Heizen an die Innenräume abgeben. Denkbar ist es auch, die Blüten mit verformbaren, organischen Solarzellen zu beschichten, um so Strom zu produzieren, der im Gebäude genutzt werden kann“, sagt Bucht.
Weitere Informationen:
www.iwu.fraunhofer.de
Das Heizen, Kühlen und Lüften von Wohnhäusern, Büroimmobilien und öffentlichen Bauten ist kostenintensiv. Energieverschwender sind vor allem Bürogebäude mit großflächigen Glasfassaden. © pixabay