Aktuelle Schätzungen der Stickoxid-Emissionen in Berlin könnten deutlich zu niedrig liegen. Eine neue Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Emissionen im Jahresdurchschnitt rund zweimal so hoch, an Wochentagen im innerstädtischen Raum sogar dreimal so hoch sind wie die Werte aus einem häufig genutzten Emissionsinventar.
„Die Werte des Emissionsinventars TNO-MACC III werden aus Berichten Deutschlands an die Europäische Union zusammengestellt und ähneln der Emissionsschätzung der Berliner Senatsverwaltung. Die Ergebnisse sind somit relevant für die Politik. In unserer Studie geben wir Hinweise darauf, wie die Emissionen exakter berechnet werden können“, sagt Leitautorin Friderike Kuik, die während der Arbeit an der Studie am IASS tätig war.
Fahrzeuge und besonders Diesel-Pkw sind eine der Hauptquellen für Stickstoffoxide (NOx), die aus Stickstoffmonoxid (NO) und Stickstoffdioxid (NO2) bestehen. NO2 ist für Menschen und Umwelt hochgiftig.
Emissionsfaktoren sollten überprüft werden
Die Studie, die in der Zeitschrift „Atmospheric Chemistry and Physics“ erschienen ist, beruht auf Berechnungen mit dem hochaufgelösten Chemietransportmodell WRF-Chem. Die Berechnungen erfolgten auf Grundlage der Werte aus dem Emissionsinventar, die in das Modell einfließen. Ein Vergleich der Modellergebnisse mit tatsächlich gemessenen Stickoxid-Konzentrationen zeigt, dass die Werte des Modells besonders an Werktagen, wenn das Verkehrsaufkommen höher ist, niedriger liegen als die gemessenen Konzentrationen der Stickoxide. Die Forscherinnen und Forscher suchten in ihrer Arbeit nach den Ursachen der Modell-Ungenauigkeiten und schätzten auf dieser Grundlage die Korrekturfaktoren, die zu realistischeren Ergebnissen führen würden. Die Schätzungen seien gut begründet, müssten aber durch weitere Forschung abgesichert werden, betont Tim Butler, Ko-Autor der Studie und Leiter des Projektes „Modellierung der Luftqualität für Politikberatung“ am IASS.
Besonders wichtig sei es, die Berechnung der Emissionen des Straßenverkehrs zu überprüfen. „Einiges weist darauf hin, dass die Emissionsfaktoren – also wieviel Stickoxide pro gefahrenem Kilometer emittiert werden – neu berechnet werden sollten. Diese sind europaweit standardisiert und im Handbuch für Emissionsfaktoren für Straßenverkehr veröffentlicht. Bei der Festlegung der Emissionsfaktoren geht man von einer ruhigen Fahrweise aus, die aber nicht immer der Realität entspricht“, sagt Tim Butler. Realitätsnähere Emissionsfaktoren, die unterschiedliche Fahrweisen berücksichtigen, könnten zu einer genaueren Einschätzung der Emissionen führen.
Mehr Messungen in höheren Luftschichten erforderlich
Mehr Klarheit könnten laut den Autorinnen und Autoren auch mehr Messungen der Schadstoffbelastung in höheren Luftschichten bringen – die vertikale Durchmischung der ausgestoßenen Stickstoffoxide sei nur unzureichend erforscht. Abhängig von der Wetterlage mischen sich die Luftschichten mal mehr, mal weniger. Die Verweildauer von Luftschadstoffen in der bodennahen Schicht ist daher sehr unterschiedlich. Mit mehr und besseren Daten zur Durchmischung der Schadstoffe in höheren Luftschichten könnte mehr Klarheit über weitere Modell-Ungenauigkeiten geschaffen werden – und somit könnten die Korrekturfaktoren für die Emissionen noch besser abgeschätzt werden.
Studie
Kuik, F., Kerschbaumer, A., Lauer, A., Lupascu, A., von Schneidemesser, E., and Butler, T. M.: Top–down quantification of NOx emissions from traffic in an urban area using a high-resolution regional atmospheric chemistry model, Atmos. Chem. Phys., 18, 8203-8225, 2018. https://doi.org/10.5194/acp-18-8203-2018