Im Mai startete am Institut für Stadtforschung, Planung und Kommunikation der Fachhochschule Erfurt das vom BMBF geförderte Forschungsprojekt StraInQ, welches das soziale Zusammenleben und die Integration besonders benachteiligter Bevölkerungsgruppen am Beispiel des Märkischen Viertels in Berlin untersucht.
Das Forschungsprojekt „Strategien und Instrumente des sozialen Zusammenlebens im Quartier zur Integration besonders benachteiligter Bevölkerungsgruppen“ (StraInQ) ist im Mai unter Leitung von Professorin Dr. Heidi Sinning gestartet. Das Projekt wird bis 2022 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert und durch das Institut für Stadtforschung, Planung und Kommunikation (ISP) der Fachhochschule Erfurt und weiterer Partner durchgeführt.
Städtische Quartiere sind einem umfassenden Differenzierungsprozess ausgesetzt: hier treffen alte und neue Nachbar*innen unterschiedlicher Generationen mit sehr verschiedenen Lebensstilen, kulturellen Hintergründen, Einstellungen sowie Einkommens- und Bildungsständen aufeinander. Die Zuwanderung neuer Bewohner*innen trägt ebenfalls zur gesellschaftlichen Differenzierung der Städte bei.
„Die vielfältige Ausdifferenzierung der Quartiere wirft Fragen auf, wie sich das nachbarschaftliche Zusammenleben in städtischen Quartieren organisieren und durch geeignete Strategien unterstützen lässt. Damit wird das Zusammenleben in den Nachbarschaften vor Herausforderungen gestellt und neue Möglichkeiten des Miteinanders können genutzt werden“, so Professorin Dr. Heidi Sinning, Leiterin des Forschungsverbunds sowie des Instituts für Stadtforschung, Planung und Kommunikation (ISP) der Fachhochschule Erfurt. Gemeinsam mit Johannes Glöckner, wissenschaftlichem Mitarbeiter am Institut, dem Bezirksamt Reinickendorf von Berlin, dem Wohnungsbauunternehmen GESOBAU AG, dem sozialen Träger Aufwind e.V. und unterstützt vom Fachgebiet Stadtsoziologie der HafenCity Universität Hamburg wird das Forschungsprojekt StraInQ diesen und weiteren Fragen nachgehen.
Als Beispielquartier steht die Großwohnsiedlung Märkisches Viertel in Berlin Reinickendorf im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Untersuchung. Mit ca. 40 000 Einwohner*innen aus mehr als 100 Nationen ist es durch seine diverse Bevölkerungsstruktur und hohe räumliche Dichte geprägt. Der stellvertretende Bezirksbürgermeister und Stadtrat für Wirtschaft, Gesundheit, Integration und Soziales von Reinickendorf, Uwe Brockhausen, betont: „Das Forschungsprojekt StraInQ ermöglicht es uns, konkrete Lösungsstrategien für ein gutes Miteinander zu entwickeln, zu erproben und zu reflektieren. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit und wissenschaftliche Begleitung stellt für den Bezirk eine ausgezeichnete Möglichkeit dar, neue Perspektiven für das Zusammenleben im Quartier zu erhalten.“
Ziel des Forschungsprojektes StraInQ sind die Entwicklung von Handlungsempfehlungen für eine sozial-ökologisch nachhaltige und kultursensible Entwicklung von Quartieren auf der Grundlage der Förderung sozialen Zusammenlebens zwischen ansässigen und neu hinzugezogenen Bewohner*innen. Erwartet werden wissenschaftliche Erkenntnisse, wie verschiedene Bevölkerungsgruppen ihr Quartier räumlich wahrnehmen, nutzen und sich aneignen. Dabei geht es um (halb-)öffentliche Räume als gemeinschaftsfördernde bzw. konfliktprägende Orte, um kultursensible Transformationsprozesse städtischer Quartiere, um die Weiterentwicklung von Instrumenten zur Förderung des sozialen Zusammenlebens sowie um den Abbau von Diskriminierung.
Der praxisorientierte Forschungsansatz des Reallabors ermöglicht es, konkrete Maßnahmen zur Integration benachteiligter Bevölkerungsgruppen exemplarisch im Märkischen Viertel zu untersuchen, zu entwickeln und zu erproben. Die Ergebnisse sollen auch auf andere städtische Kontexte und Akteurskonstellationen übertragen und in einem begleitenden Expertinnen- und Expertenkreis kritisch reflektiert werden.
Hintergrund
Im Vorgängerprojekt „Strategien und Instrumente zur Integration besonders benachteiligter Bevölkerungsgruppen in den Wohnungsmarkt“ (StraInWo), welches von 2016 bis 2019 durch das BMBF gefördert wurde, standen Geflüchtete sowie Menschen aus EU-Mitgliedsstaaten, insbesondere aus Rumänien, Polen und Bulgarien, als die größte Zuwanderungsgruppe in Deutschland im Mittelpunkt. EU-Zuwander*innen aus Südosteuropa, insbesondere Angehörigen der Minderheit der Roma, und Geflüchteten den Zugang zu verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereichen zu ermöglichen, ist aufgrund individueller Teilhabechancen, vielfältiger Diskriminierung und des angespannten Wohnungsmarkts in Großstädten auf verschiedenen Ebenen eine besondere Herausforderung für die lokale Integrationsarbeit. Der BMBF-Forschungsverbund entwickelte Handlungsempfehlungen, um den Zugang zu Wohnraum für Geflüchtete und EU-Zuwander*innen zu verbessern. Die Erkenntnisse aus der Untersuchung der Fallbeispiele „Probewohnen“ in Lübeck und „Bunte 111“ in Berlin wurden anschließend in dem durch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen geförderten Projekt „Wohnen und Leben im Märkischen Viertel“ begleitend erprobt und erfolgreich angewandt. In enger Zusammenarbeit mit der Senatsverwaltung, dem Bezirksamt Reinickendorf, der GESOBAU und Aufwind e.V. sowie zahlreichen Akteuren vor Ort konnte so zuvor wohnungslosen Zuwander*innen aus Südosteuropa der Zugang zu Wohnraum ermöglicht werden. Es konnte zudem aufgezeigt werden, dass sich die Umsetzung der entwickelten Strategien positiv auf die Teilhabechancen von Zuwander*innen und die Lösung nachbarschaftlicher Konflikte auswirken. Die interdisziplinären Ergebnisse werden in einer Buchpublikation unter dem Titel „Wohnen nach der Flucht? Integration von Geflüchteten und Roma in städtische Wohnungsmärkte und Quartiere“ im Sommer 2020 im Springer Verlag veröffentlicht.
Mit Blick auf das soziale Zusammenleben im Quartier Märkisches Viertel wurde im Rahmen des Vorgängerprojektes deutlich, dass sozial-räumliche Nutzungskonflikte, fehlende Infrastrukturen vor Ort, unzureichende Konfliktlösungsstrategien zwischen den Bewohner*innen, anhaltende Diskriminierung oder mangelndes quartiersbezogenes Handeln beteiligter Akteure sich hemmend auf den Prozess des individuellen Ankommens in Nachbarschaft auswirken. So wird das Zusammenleben im Quartier beispielsweise durch das Fehlen von Begegnungsräumen, soziokulturell bedingten Konflikten und Alltagsrassismus und Diskriminierung behindert und die Bildung sozialer Kontakte erschwert. Aufbauend auf diesen Ergebnissen soll der Fokus im Anschlussvorhaben StraInQ auf der Integration benachteiligter Gruppen, insbesondere der Minderheit der Roma, im Quartier und der Förderung des öffentlichen Raumes als stabilisierender, schützender und ermächtigender Ort liegen.
Weitere Informationen unter: https://www.fh-erfurt.de/isp/forschung/projekte/strainwo