Im Juni dieses Jahres forderte Bundesumweltministerin Steffi Lemke die Bevölkerung zum Trinkwassersparen auf, einzelne Kommunen erteilten Verbote für das Entnehmen von Wasser aus Bächen und Flüssen und für das Bewässern von Gärten. Dabei ist in Deutschland eigentlich genügend Wasser vorhanden, zumindest versichern die Wasserversorger das immer wieder. Wie passt das zusammen?
Die Trinkwasserversorgung in Deutschland gilt als nicht gefährdet. Trotzdem rufen Wasserversorger jedes Jahr im Sommer zum Wassersparen auf. Verbrauchen wir zu viel Trinkwasser?
Robert Lütkemeier: Das kann man so pauschal nicht für ganz Deutschland und schon gar nicht für alle Verbrauchsgruppen sagen. Aber ja, wir stoßen mitunter an Versorgungsgrenzen. Dabei verbrauchen wir heute viel weniger Trinkwasser als noch in den 1990er Jahren. 1991 war es noch ein Volumen, das in etwa dem des Bodensees entspricht, heute nutzen wir nicht mal mehr die Hälfte.
Wodurch kommt der starke Rückgang zustande?
Robert Lütkemeier: Der Rückgang ist vor allem damit zu erklären, dass nutzungsintensive Bereiche wie Energieversorgung und Industrie deutlich effizienter im Umgang mit Wasser geworden sind. Kraftwerke etwa verbrauchen heute sehr viel weniger Wasser für die Kühlung, und Industriebetriebe sind in der Lage, Wasser im Kreislauf zu führen. Auch der Wasserverbrauch im häuslichen Bereich hat sich deutlich verringert, es sind etwa 21 Liter pro Tag weniger als noch 1991. Wir verbrauchen im Schnitt etwa 120 bis 130 Liter pro Person pro Tag, das ist schon ziemlich gut und vor allem auf technologische Innovationen zurückzuführen, die heute Standard sind wie die Start-Stopp-Taste der Toilettenspülung zum Beispiel.
Der verringerte Wasserverbrauch im Haushalt lässt sich vor allem auf technologische Innovationen zurückzuführen, aber nicht nur?
Robert Lütkemeier: Genau, wir sprechen mit Blick auf Nachhaltigkeit auch von sozialen Innovationen, wenn sich ein neues Verhalten durchsetzt. Bei der Wassernutzung im häuslichen Bereich sehen wir, dass es durchaus ein anderes Bewusstsein für einen nachhaltigen Umgang mit Trinkwasser gibt als noch in den 1990er Jahren, und das ist gut. Aber wir sehen trotzdem Knappheit. Regionalen Wasserstress, der meistens durch Hitze und Trockenheit saisonbedingt ist, aber eben nicht nur. Vor allem in den wachsenden Ballungsräumen gibt es auch saisonunabhängig Spitzenbedarfe im Tagesverlauf, die die Wasserversorger an die Versorgungsgrenze bringen können. Deshalb ist die Antwort: Ja, wir verbrauchen in Deutschland schon jetzt mitunter zu viel Trinkwasser und müssen damit rechnen, dass zeitlich begrenzter Wasserstress im Zuge des Klimawandels noch viel häufiger ein Thema werden wird.
Wo genau ist denn dann noch Einsparpotenzial, wenn der Gesamtwasserverbrauch schon so stark gesunken ist?
Robert Lütkemeier: Einsparpotenziale gibt es in der Landwirtschaft, wo der Wasserbedarf noch steigen wird, weil Dürren im Zuge des Klimawandels häufiger werden und die Niederschlagsverhältnisse sich verändern. Deshalb wird es entscheidend sein, dass diese Potenziale auch genutzt werden, etwa durch die Wiederverwendung von Wasser in der Landwirtschaft. Aber um bei den Haushalten zu bleiben: Da sehen wir, dass es im normalen Alltagsverbrauch mit dem Stand der Technik heute kaum noch nennenswerte Möglichkeiten zum Wassersparen gibt. Beim derzeitigen Durchschnittsverbrauch von 120 bis 130 Litern pro Person pro Tag scheinen wir unsere konventionellen Sparpotenziale ausgeschöpft zu haben. Anders sieht es dort aus, wo große Wassermengen verwendet werden, etwa für die Gartenbewässerung oder für die Befüllung von Swimmingpools. Da gibt es natürlich noch Spielraum. Einsparpotenziale liegen vor allem in der Wiederverwendung von Wasser im häuslichen Bereich.
Wasserwiederverwendung in Häusern und Wohnungen sind bislang noch sehr selten?
Robert Lütkemeier: Ja, da sind wir noch ziemlich am Anfang. Dabei ist es längst möglich, in Häusern Wasserströme zu trennen. In Neubauten wird das öfter schon umgesetzt und sogenanntes Betriebswasser, also gereinigtes Abwasser, zum Beispiel für die Toilettenspülung genutzt. Bisher spülen wir Toiletten in Deutschland überwiegend mit Trinkwasser. Vor allem in Ballungsräumen, wo die Versorgungsprobleme besonders häufig auftreten, würde es die Ressource enorm schonen, wenn wir hier auf die neuen Technologien für Wasserwiederverwendung setzen – Toilettenspülungen machen etwa ein Drittel der Wassernutzung im Haushalt aus.
Die Betriebswassernutzung in Haushalten lässt sich nicht von heute auf morgen realisieren. Heißt das, als Normalverbraucher*in ist man gegenwärtig am Ende der Möglichkeiten beim Wassersparen angelangt?
Robert Lütkemeier: Nicht ganz, denn auch Menschen mit moderatem und geringem Verbrauch im Alltag lassen sich mitunter zum Vielverbrauch hinreißen. Im Urlaub zum Beispiel stellt sich unser Wasserverbrauch ganz anders dar. Reisen wir in warme, sonnige Urlaubsregionen, verbrauchen wir deutlich mehr Wasser als zu Hause. Vielleicht hält man sich dann in einem Hotel auf, in dem eine Gartenanlage bewässert oder regelmäßig ein Pool befüllt wird. Bei großer Hitze wird dann auch eventuell öfter geduscht. Jedenfalls verdoppelt sich der Wasserverbrauch pro Person im Urlaub, teilweise verdreifacht er sich sogar. Und es gibt auch Spitzenwerte in manchen Regionen, in denen eine Person auf 800 bis 1000 Liter am Tag kommt. Das sind dann oft ausgerechnet die Regionen, die ohnehin schon von Wassermangel betroffen sind, zum Beispiel Spanien. Das kann jeder für sich ja mal prüfen: Weiche ich im Urlaub von meinem Wasserverbrauch ab? Lasse ich mein Umweltbewusstsein zu Hause, und wenn ja, warum? Das sind Konsumfragen, die man sich auch mit Blick auf wasserintensive Einkäufe stellen sollte.
Was ist damit gemeint?
Robert Lütkemeier: Wir sollten uns trotz der moderaten Pro-Kopf-Werte in Deutschland nichts vormachen. Unser Verbrauch ist weitaus höher als die Menge, die aus dem Wasserhahn kommt. Wir haben alle über den Hausgebrauch hinaus einen unsichtbaren, auch virtuell genannten Wasserverbrauch. Den muss man sich wie eine Art Rucksack vorstellen. Alles, was wir konsumieren, ob Lebensmittel, Kleidung, technische Geräte, Handy oder Autos, wird unter Verwendung von immensen Wassermengen hergestellt. Wir verursachen also gar nicht unbedingt zu Hause, sondern andernorts, ähnlich wie beim Urlaub, einen je nach Konsumverhalten riesigen Wasserfußabdruck. Beispiel Tomaten: Die werden hier konsumiert, wurden aber in Spanien oder in Israel bewässert. Damit trägt unser Konsum zum Wasserstress in anderen Ländern bei und hat Auswirkungen auf deren Grundwassersituation, die in vielen Regionen bedenklich ist. Und das, obwohl das Grundwasser die weltweit wichtigste Quelle für Trinkwasser ist. Das gilt auch für Deutschland.
Wie ist die Grundwassersituation bei uns in Deutschland?
Robert Lütkemeier: Den flächendeckenden Gesamtzustand des Grundwassers zu bewerten ist sehr schwierig, aber man muss einfach wissen: Grundwasser steht nicht unendlich zur Verfügung. Aktuelle Untersuchungen mit Satellitendaten zeigen, dass sich in Deutschland in den letzten 20 Jahren große Mengen Grundwasser nicht neu gebildet haben. Über die genaue Höhe wird derzeit in der Fachwelt gestritten, es geht um Milliarden von Kubikmetern. Aber der Verlust ist spürbar, und zwar an regionalen Hotspots, wie wir sie nennen. Dort sinken die Grundwasserspiegel so weit ab, dass die Brunnen trockenfallen. Neu ist, dass sie sich dann eben auch im Winter nicht mehr ausreichend erholen. Seit Beginn der extremen Dürresommer 2018 hat sich diese Situation verschärft. Dieser Wasserverlust lässt sich eigentlich nur durch mehrere regenreiche Winter kompensieren. Oder anders gesagt: Ein verregneter Sommer wie in 2023 bringt uns das verlorene Grundwasser nicht zurück.
Wie macht sich der Wasserverlust an den Hotspots bemerkbar?
Robert Lütkemeier: Grundwasserprobleme machen sich spätestens dann bemerkbar, wenn die Wasserversorger die Wasserspeicherreservoirs für die Bevölkerung in ihrem Versorgungsgebiet nicht mehr mit eigenem gewonnenen Trinkwasser bedienen können und deshalb mit Tankwagen vorfahren, um die Hochbehälter aufzufüllen. Das passiert zum Teil in Regionen, die gar nicht unbedingt wasserarm sind. Ein Beispiel ist der hessische Vogelsberg. Viele dort kennen diese Tankwagen und ärgern sich darüber, weil in dem Mittelgebirge gleichzeitig Trinkwasser gewonnen wird, das in die Metropole Frankfurt fließt. Solche Konflikte um die Ressource könnten häufiger werden, je weiter wir, salopp gesagt, unsere Grundwasserkörper runterwirtschaften. Und damit will ich sagen, wir haben nicht nur Probleme mit der Quantität unserer Grundwasserbestände, sondern auch mit der Qualität, und zwar europaweit. Etwa ein Viertel aller Grundwasserkörper sind aufgrund von Verunreinigungen in einem schlechten Zustand, unter anderem durch Nitrat. Zwar gibt es eine Europäische Grundwasserrichtlinie, aber es ist offensichtlich, dass deren Vorgaben nicht ausreichen, um die wertvolle Ressource zu schützen. Dazu braucht es einen echten Paradigmenwechsel hin zu einer nachhaltigen Grundwasserbewirtschaftung. Wie der gelingen kann, damit beschäftigen wir uns am ISOE in der Forschungsgruppe „regulate“.
Wo setzt die Forschung von „regulate“ an?
Robert Lütkemeier: Unsere Beobachtung ist, dass der Fokus der Politik und auch der Forschung bei der Suche nach Ursachen und Lösungen bisher stark auf den lokalen Kontext beschränkt bleibt. Aber die Probleme, die zu den Wassernutzungskonflikten führen, sind viel größer und vielschichtiger. In „regulate“ konzentrieren wir uns deshalb viel stärker auf die Prozesse, die hinter den jeweils vor Ort sichtbaren Vorgängen liegen, hier wären wir wieder beim Tomatenbeispiel vom Anfang. Wir müssen diese überregionalen und sehr komplexen Zusammenhänge um das Grundwasser viel stärker in den Blick nehmen. Zu diesen sogenannten Telekopplungen forschen wir.
Wir haben viel über die Konsument*innen gesprochen. Was können Wasserversorger angesichts der ungewissen Entwicklungen rund um das Grundwasser tun, um die Trinkwasserversorgung zu sichern?
Robert Lütkemeier: Wenn Wasserversorger nicht von Spitzenbedarfen überrascht werden und längerfristig planen wollen, dann können sie mithilfe von Wasserbedarfsprognosen sehr gut sehen, wie sich Routinen in ihrem Versorgungsgebiet darstellen und auch was Abweichungen davon bedeuten. Wir haben in unseren empirischen Untersuchungen zum Beispiel gesehen, dass Menschen zu Hause plötzlich exponentiell mehr Wasser verbrauchen, wenn die Lufttemperatur etwa 25 Grad übersteigt. Das ist die Temperatur, die den Beginn einer womöglich kritischen Entwicklung markiert. Falls die Temperaturen auf die 30 Grad zugehen, bewässern die Menschen ihre Gärten häufiger, duschen öfter, füllen Planschbecken und Pools. Wenn es solche Hitzephasen künftig häufiger geben wird, haben die Wasserversorger ein Problem, denn schon infrastrukturell ist es anspruchsvoll, solche Spitzenbedarfe zu bedienen. Hinzu kommen dann beispielsweise Veranstaltungen. Sind für eine Großveranstaltung plötzlich noch mal eine halbe Million mehr Menschen in der Stadt, kann es schon kritisch werden. Aber Wasserbedarfsprognosen können weitaus mehr Aspekte abbilden und vor allem auch die langfristige Planung unterstützen.
Wenn Wasserversorger durchschnittliche Pro-Kopf-Verbräuche und aktuelle Anlässe berücksichtigen, sind sie also auf der sicheren Seite?
Robert Lütkemeier: Nein. Unsere Erfahrung ist, dass für die Planungssicherheit die bekannten Daten wie bundesweite Durchschnittswerte des Pro-Kopf-Verbrauchs oder Bevölkerungszahlen nicht ausreichend sind. Dazu braucht es schon detailliertere Daten zu sozioökonomischen Gegebenheiten, also wie setzt sich die Bevölkerung zusammen? Wie hat zum Beispiel die Corona-Pandemie das Pendel- oder Homeoffice-Verhalten der Menschen verändert? Auch müssen siedlungsstrukturelle Fragen berücksichtigt werden: Wie viele Einfamilienhäuser gibt es, wie viele Wohnungen, Gärten usw. Und technische Aspekte der Infrastruktur bis hin zu wassersparenden Haushaltsgeräten oder den gegebenen Sanitäreinrichtungen müssen ermittelt und einberechnet werden. Zusammen ergeben sie ein genaueres, wir sagen auch kleinräumigeres Bild über die zu erwartende Bedarfsentwicklung. Wichtig ist, dass Wasserversorger die Trends in ihrer Versorgungsregion frühzeitig erkennen und in ihrer Planung für die Trinkwasserversorgung berücksichtigen können.
Links zu regulate – Nachhaltiges Management von Grundwasser in Europa:
www.isoe.de |
regulate-project.eu