Stadtraum: Forschung

Die Zukunft historischer Innenstädte nach Corona

Welche Folgen hat Corona für historische Innenstädte?
Welche Folgen hat Corona für historische Innenstädte? © H. Hensel/IÖR-Media

Masterarbeit: Die Corona-Pandemie und mögliche Folgen für die räumliche Entwicklung historischer Innenstädte

Die Corona-Pandemie wird an vielen historischen Altstadtquartieren nicht spurlos vorübergehen. Folgen für den Stadtraum lassen sich schon jetzt abschätzen und Lösungsstrategien so entwickelt werden. Am Beispiel der Arbeitsgemeinschaft Historische Städte hat Erik Mann, Absolvent der Technischen Universität Dresden (TUD), in seiner Masterarbeit untersucht, welchen Einfluss die Corona-Pandemie auf die Innenstädte und ihre weitere Entwicklung nehmen könnte. In einer Handreichung sind die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst. Betreut hat die Arbeit Prof. Dr. Robert Knippschild vom Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR).

Vielerorts bilden Altstadtquartiere das kulturelle, wirtschaftliche und politische Zentrum von Städten. Oft erfüllen sie auch für die umliegende Region wichtige Funktionen, sind Orte des Arbeitens, der Bildung und Versorgung. Immer wieder müssen die historischen Innenstädte aber auch mit Krisen wie dem Klimawandel umgehen. Seit reichlich einem Jahr sind mit der Corona-Pandemie weitere Herausforderungen hinzugekommen. Wie trifft die Pandemie die historischen Innenstädte? Wird sie zu städtebaulichen Veränderungen führen und wie können die Städte reagieren? Diesen Fragen ging Erik Mann, Absolvent der TUD, in seiner Masterarbeit nach. Im Policy Paper „Die Corona-Pandemie und mögliche Folgen für die räumliche Entwicklung historischer Altstadtquartiere“ hat er zentrale Inhalte zusammengefasst.

Historische Altstadtquartiere – schon vor der Pandemie unter Druck

In den Fokus seiner Untersuchungen rückt Erik Mann die sechs Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Historische Städte: Bamberg, Görlitz, Lübeck, Meißen, Regensburg und Stralsund. In der Untersuchung stehen sie stellvertretend für viele Städte in Deutschland, die mit ihrer historischen Altstadt wertvolle Baukultur im Bestand haben, die sich aber zum Teil auch schon vor dem Corona-Ausbruch darum sorgen mussten, wie sie ihre Innenstadt lebendig halten können.

Schlüsselfaktoren, Zukunftsszenarien und Befragung

Erik Mann hat in seiner Arbeit die Zeit seit Ausbruch der Corona-Pandemie in Deutschland bis zum 30. September 2020 untersucht. Damit fallen der erste Lockdown mit teils einschneidenden Maßnahmen ebenso in den Untersuchungszeitraum wie die Zeit der Lockerungen in den Sommermonaten 2020. Auf Basis umfangreicher Recherchen generiert er Schlüsselfaktoren für die Themenfelder Stadtentwicklung und Corona. In einer Wirkungsanalyse stellt er diese gegenüber und ermittelt, welchen Einfluss die Corona-Pandemie auf die Entwicklung der historischen Innenstädte nehmen könnte. Dabei konzentriert sich Mann auf die in den Altstädten besonders relevanten Bereiche Wohnen, Tourismus, Freiraum, Einzelhandel, Kultur und den Prozess der Stadtentwicklungsplanung generell. Für jeden Bereich formuliert er unterschiedliche Zukunftsszenarien und lässt Expert*innen der untersuchten Städte bei einer Befragung beurteilen, welche der Szenarien als realistisch anzusehen sind. Die Ergebnisse der Materialrecherche und Befragungen geben einen detailreichen Einblick in die Situation vor Ort und lassen ebenso einen Blick auf mögliche künftige Entwicklungen zu.

Wohnen und Tourismus als Stabilisatoren nach der Pandemie

Gut aufgestellt zeigen sich die Altstadtquartiere beim Thema Wohnen. Den Trend zur Urbanisierung wird die Pandemie wohl nicht stoppen oder umkehren. Eher könnte sich der Zuzug in die Städte noch verstärken. In der Pandemie punkten sie mit kurzen Wegen, die sich auch ohne Bus und Bahn zurücklegen lassen, und die Nähe zu lokalen Versorgungsstrukturen. Für die Städte heißt es, weiterhin für ein breites Angebot an Wohnraum zu sorgen. Abzuwarten bleibt, ob die im Zuge der Pandemie zutage getretene Problematik der Vereinsamung von Menschen in Ein-Personen-Haushalten zu neuen Wohnformen führt und damit künftig der Bedarf an Wohnraum für vielköpfige Wohngemeinschaften steigt.

Beim Tourismus erwarten die Befragten eine Normalisierung, sobald das Infektionsgeschehen die Öffnung von Gaststätten, Hotellerie und Sehenswürdigkeiten wieder zulässt. Ihre Hoffnungen schöpfen sie aus den Erfahrungen im Sommer 2020. Deutsche statt internationaler Gäste ließen die Übernachtungszahlen fast auf Normalniveau steigen. Allerdings müssen die Städte stärker für ihre Angebote werben, um Gäste aus dem Inland auf die naheliegenden Reiseziele aufmerksam zu machen. Städte allerdings, die wie Lübeck zu einem großen Teil auf Geschäftsreisende setzen, könnten in der Zukunft das Nachsehen haben. Neue Trends beim Arbeiten wie Geschäftstermine per Videokonferenz wurden durch die Corona-Situation noch verstärkt und könnten sich dauerhaft etablieren.

Starke negative Folgen für den Einzelhandel befürchtet

Aus Sicht der befragten Stadtvertreter*innen ist im lokalen Einzelhandel in allen sechs Städten mit den schwerwiegendsten und wohl auch dauerhaften Folgen der Pandemie zu rechnen. Hier droht den Altstadtquartieren am ehesten ein Funktionsverlust. Der Trend zum Online-Kauf, der den lokalen Einzelhandel bereits vor Corona in Bedrängnis brachte, hat durch die Pandemie noch an Bedeutung gewonnen. Nun werden sogar Dinge des täglichen Bedarfs online geordert, selbst wenn sie im Laden um die Ecke vorrätig sind.

Wirkungen auf den Stadtraum – Einzelhandel, Kultur und Freiraumbedarf

Während die Aufgabe von Geschäften und der daraus resultierende Leerstand negativ auf Attraktivität und Image der Innenstädte wirken, könnte die Corona-Pandemie in anderen Bereichen sogar für Belebung sorgen. Sie hat nicht zuletzt gezeigt, wie wichtig ein gutes Angebot an Freiraum und Grünflächen in den Altstädten ist. Nicht nur, dass die Menschen in Zeiten von Bewegungs- und Reiseeinschränkungen ihre direkte Umgebung neu entdecken und intensiver nutzten; auch die Kultur braucht unter Corona-Bedingungen mehr Raum im Freien, um Programmpunkte auch dann anbieten zu können, wenn Hygieneauflagen dies in geschlossenen Räumen nur schwerlich zulassen. Die befragten Städte haben diese Erfordernisse bereits erkannt, planen die Aufwertung vorhandener Freiflächen und wollen neue Flächen schaffen. Nicht überall ist dies ein leichtes Unterfangen. Nur Görlitz und Meißen verfügen über ausreichend Flächenreserven in der Innenstadt, um bei Bedarf neue Freiflächen zu schaffen. Mehr Grün könnte in den Altstadtquartieren vor allem auf privatem Grund entstehen.

Insgesamt zeigt sich, dass Corona Herausforderungen verschärft, mit denen die Städte auch schon vor der Pandemie zu kämpfen hatten. Eine Lösung könnte die möglichst multifunktionale Ausrichtung der Innenstädte sein. Neben touristischen Angeboten, sollten sie Raum bieten für Sport, Kultur, Handel und Bildung, die sich vor allem an die Bevölkerung vor Ort richten.

„In seiner Masterarbeit hat Erik Mann ein hochaktuelles Thema aufgegriffen. Die Arbeit zeigt, wie wichtig es ist, für bereits sichtbare Folgen der Pandemie schon jetzt Lösungen zu entwickeln. Deutlich wird auch, dass es die Städte abhängig von den Gegebenheiten vor Ort mit unterschiedlichen Herausforderungen zu tun haben. Die provisorischen Lösungen, die sie in der Pandemie entwickelt haben, sollten sie jetzt auf ihre Wirksamkeit prüfen und durch dauerhafte Strategien ersetzen, die sowohl in der Phase einer akuten Infektionswelle als auch nach der Pandemie funktionieren“, erläutert Gutachter Prof. Robert Knippschild die Quintessenz der Arbeit.

Hintergrund

Die Abschlussarbeit „Städtebauliche Herausforderungen in historischen Altstadtquartieren infolge der Corona-Krise – Eine Einschätzung anhand der Arbeitsgemeinschaft Historische Städte“ ist im Masterstudiengang „Raumentwicklung und Naturressourcenmanagement“ der Technischen Universität Dresden entstanden. Begutachtet wurde die Arbeit von Dr. Robert Knippschild, Professor für ökologischen und revitalisieren Stadtumbau am Internationalen Hochschulinstitut (IHI) Zittau der Technischen Universität Dresden und Seniorwissenschaftler am Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) Dresden, sowie von Hartmut Wilke, Leiter des Amtes für Stadtentwicklung bei der Stadt Görlitz.

Weitere Informationen:
Policy Paper zum Herunterladen


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