Der Kundenservice hat sich in vielen Branchen mit der voranschreitenden Digitalisierung verändert. Es hat sich ein Bewusstsein dafür entwickelt, dass sich Kunden bevorzugt digital aufhalten, ihre Belange online abwickeln und eben dort abgeholt werden möchten. Wo man in der Privatwirtschaft bereits gut vorangeschritten ist, scheint man in der öffentlichen Verwaltung noch etwas zurückzuliegen. Auch wenn der Weg geebnet ist, sind Behörden nicht dem gleichen Wettbewerbsdruck ausgesetzt wie private Unternehmen und so hatten sie in der Vergangenheit weniger Anreiz, Zeit und Ressourcen für die Verbesserung der Erfahrungen ihrer Bürger aufzuwenden. Doch heute sehen sich öffentliche Einrichtungen vermehrt dem Druck ausgesetzt, ihre Dienstleistungen zu modernisieren und die Erfahrungen für Bürger zu verbessern. Ein besonderes Augenmerk sollten sie dabei auf das digitale Onboarding der Bürger legen, denn Umfragen zeigen, dass Reibungen beim Onboarding-Prozess zu hohen Abbruchquoten führen. Somit entstehen schon vor der eigentlichen Nutzung von eGovernment-Diensten Hürden, die Bürger dazu verlassen wieder auf den analogen Weg umzusteigen.
Letztes Jahr beschloss die Bundesregierung als Teil ihrer Entlastungspakete zur anhaltenden Energiekrise eine einmalige Energiepreispauschale speziell für Menschen in Ausbildung. Seit März dieses Jahres können Studierende und Fachschüler diese Einmalzahlung von 200 Euro online beantragen. Der Onlineantrag sollte dabei den Berechtigten den Zugang zur Auszahlung möglichst einfach und schnell ermöglichen. Dennoch waren auf Social Media viele Stimmen zu hören, die den Identitätsnachweis durch die BundID als zu aufwändig oder nicht funktionierend kritisierten. Diese Situation zeigt einmal mehr, dass ein einfacher und reibungsloser Identitätsnachweis auch bei eGovernment-Diensten essenziell ist. Welche Hürden müssen bei digitalen Onboarding-Strategien überwunden werden und wie können digitale Technologien dabei helfen, damit eGovernment-Dienste positiv in der Öffentlichkeit wahrgenommen und genutzt werden?
eGovernment noch nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen
Laut eGovernment Monitor 2022 nutzen im bundesweiten Schnitt ca. 54 Prozent der Bürger eGovernment-Dienste, dabei gibt es jedoch große Unterschiede zwischen den Bundesländern. Die am häufigsten genutzten Online-Dienste sind laut dem eGovernment Monitor Steuererklärungen (73%) und Terminvereinbarungen (70%). Behördengänge wie Wohnsitz an- oder ummelden (21%) oder Sozialleistungen beantragen (Kindergeld (33%), Arbeitslosengeld (32%) oder Ausbildungsförderung (34%)) fallen deutlich geringer aus. Einerseits liegt die geringe Anzahl der digitalen Behördengänge an der Verfügbarkeit von eGovernment-Diensten, die zwischen den Bundesländern stark schwangt und demnach nicht für jeden gleichermaßen verfügbar sind.
Andererseits stehen auch viele persönliche Gründe der Bürger gegen die Nutzung von eGovernment-Diensten einer breiteren Annahme des Angebots im Weg. Der eGovernment Monitor stellt zum Beispiel fest, dass den Bürgern die Abwicklung der Onlinedienste häufig zu kompliziert ist oder die Strukturen zu verworren sind, sodass nicht immer das gefunden wird, was man sucht. Ein weiterer Grund, der von vielen Befragten angegeben wurde, war die Präferenz zu persönlichen Kontakten während der Inanspruchnahme der Dienstleistungen. Aber bereits vor der ersten Nutzung dieser Dienste, nämlich beim initialen Onboarding, das die Nutzung der Dienste überhaupt erst möglich macht, kann es zu großen Hürden kommen.
Eine aktuelle Umfrage stellt einige Probleme und mögliche Lösungsansätze des digitalen Onboardings heraus. Die Umfrage untermalt auch die Ergebnisse des eGovernment Monitors und stellt fest, dass zu viele manuelle Eingaben bzw. allgemein zu viele Schritte im Prozess zu hohen Abbruchquoten im Onboarding führen können. Ebenso problematisch sind ein übermäßiger Zeitaufwand sowie das umständliche Einreichen von identitätsnachweisenden Informationen. Auch in dieser Umfrage wird ein Mangel an persönlichem Kontakt als möglichen Grund für das Abbrechen des Onboarding Prozesses genannt.
Digitales Onboarding verbessern und eGovernment zugänglicher machen
Fängt das Onboarding zu den Diensten schlecht an, setzt dies den Ton für den weiteren Umgang mit ihnen. Deshalb ist es wichtig, die richtigen Werkzeuge zu wählen, um den Prozess zu rationalisieren und den Bürgern zu helfen, zum Beispiel ihre Identität nachzuweisen und die erforderlichen Dokumente ohne unnötigen Aufwand einzureichen. An dieser Stelle kommt die Technologie ins Spiel. Identitätsnachweis- und Verifizierungstechnologien, die in Verbindung mit intelligenten Dokumentenverarbeitungstechnologien eingesetzt werden, sind wichtige Bestandteile des Onboardings. Sie tragen dazu bei, den Prozess zu beschleunigen, ohne dabei Kompromisse bei der Sicherheit einzugehen. Dies wiederum verbessert die Erfahrung der Bürger und verringert die Abbrecherquote. Eine positive Nutzererfahrung bei eGovernment-Diensten ermutigt Bürger außerdem dazu, diese Dienste wiederholt in Anspruch zu nehmen.
Auch wenn der Einsatz von KI und Automatisierungstechnologien vorteilhaft für den Onboarding Prozess ist, so darf nicht vergessen werden, dass die menschliche Komponente dennoch eine wichtige Schlüsselrolle spielt. Nicht umsonst kommen beide erwähnten Umfragen zu dem Ergebnis, dass Bürger auf die Nutzung von eGovernment-Diensten verzichten bzw. Onboarding Prozesse mangels menschlicher Interaktion abgebrochen werden. Trotz der rasanten Verbreitung neuer Technologien seit der Pandemie und des Anstiegs der Digitalisierung von Nutzerinteraktionen, geht es bei einer guten Nutzererfahrung immer noch um persönliche Beziehungen, ob face-to-face oder online. Der Schlüssel eines guten Onboarding Prozesses liegt demnach in der richtigen Mischung aus Beziehungsaufbau und Automatisierung, um die Abbruchquoten zu verringern.
Jedoch kann man nicht auf einem Prozess aufbauen, ohne zuerst seine Schwachstellen herauszufinden. Um die Ergebnisse zu verbessern, müssen zunächst verwertbare Erkenntnisse über den Onboarding-Prozess gewonnen werden, um herauszufinden, welche Bereiche verbessert werden müssen. Dies mag der Grund sein, warum sich in der Privatwirtschaft bereits viele Unternehmen dafür entschieden haben, ihr Technologie-Toolkit um Prozessintelligenz zu erweitern. Durch das Sammeln, Zusammenführen und Analysieren von Daten können Muster und Schwachstellen entdeckt werden, die zu einer besseren Nutzerfahrung und mehr operativer Effizienz führen. All das kann dabei helfen, die Bedürfnisse der Bürger bei eGovernment Diensten stärker in den Fokus zu rücken.
In einer Zeit, in der fast alle Belange des täglichen Lebens online abgewickelt werden können, sollten auch Behörden ihren Bürgern ein umfassendes eGovernment Angebot ermöglichen. Hilfsbedürftigen Menschen wie Studierenden und Fachschülern in finanzieller Notlage darf die Nutzung von eGovernment-Diensten nicht so sehr erschwert werden, dass sie gar überlegen auf staatliche Unterstützung zu verzichten. Es wird daher Zeit, dass Staat, Kommunen und Behörden zugleich einen Blick auf die Serviceorientierung privater Unternehmen werfen und diese auch auf die Erfahrung von Bürgern anwenden. Nur so können eGovernment-Dienste effektiv ausgebaut werden und breiten Anklang in der Gesellschaft finden, ohne dass Bürger bereits bei einem zu komplizierten Onboarding Prozess aussteigen. (Christian Marquardt, ABBYY)