Stadtraum: Projekte

Gegen Leerstand und Landflucht

Viele ländliche Gemeinden sorgen sich um ihre Zukunft
© Ryan McGuire auf Pixabay

Soziale Innovationen stärken ländliche Regionen: Wissenschaft und Praxis bringen Bürger*innen für ländliche Herausforderungen zusammen

Weit entfernte Supermärkte und Arztpraxen, Wegzug, Leerstand und demografischer Wandel: Viele ländliche Gemeinden sorgen sich um ihre Zukunft. Um ihre Kommunen lebenswerter zu machen, engagieren sich Bewohner*innen auch selbst: etwa in selbstorganisierten Veranstaltungszentren, regionalen Lebensmittelläden, gemeinschaftlichen Werkstätten oder Seniorencafés. Diesen Ideenreichtum sichtbar zu machen, hat sich das Forschungsprojekt „WIRinREGIONEN“ vorgenommen. Wissenschaft und Praxis untersuchen in Sachsen-Anhalt und Brandenburg regionale Netzwerke und bestehende Initiativen. Ihr Ziel: ländliche Gemeinschaften zu fördern und strukturelle Probleme anzugehen.

Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Vorhaben bringt dafür Menschen vor Ort zusammen – zum Beispiel in Erzählcafés. Erste Veranstaltungen, etwa im brandenburgischen Lauchhammer, zeigen: Investitionen in ein Quartiersmanagement, das Begegnung auf Augenhöhe ermöglicht, bieten einen Mehrwert für Zivilgesellschaft und Politik. Im Projekt arbeiten das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und die Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg (BTU) gemeinsam mit den Vereinen Wertewandel, Netzwerk Zukunftsorte, HeimatBEWEGEN und dem Bundesverband Soziokultur zusammen, um der Politik Möglichkeiten aufzuzeigen, soziale Innovationen zu fördern.

Lebenswerte ländliche Kommunen statt Landflucht: Allianzen von Bürger*innen vor Ort stärken

„Bewohner*innen ländlicher Kommunen sind, anders als oft dargestellt, lokalen Herausforderungen nicht hilflos ausgesetzt“, so Sabine Hielscher, Projektleiterin am IÖW. „Im Gegenteil: Sie sind aktiv und nutzen ihr lokales Wissen, um das Zusammenleben zu verbessern. Daher will das Projekt Allianzen schaffen und herausfinden, was Engagement fördert und hemmt. Die ersten Begegnungen vor Ort mit Bürger*innen in Ballenstedt, Lübbenau und Lauchhammer zeigen: Die öffentliche Stärkung und positives Feedback an die Engagierten helfen ihnen, motiviert zu bleiben. Auch der Austausch zwischen Bürger*innen, Stadt und Politik ist wichtig, um Ziele abzugleichen“, berichtet die Expertin für soziale Innovationen.

Transformationen, die von der Gesellschaft angestoßen werden, sind ein Grundbaustein für den Wandel in ländlichen Regionen. Um sinkenden Bevölkerungszahlen entgegenzuwirken, rufen Bürger*innen selbstorganisierte Projekte ins Leben. Gemeinwohlorientierte Formate wie etwa „DORV-Zentren“ zielen auf das Angebot von Dienstleistungen und ortsnaher Rundumversorgung. Sie bieten neben Lebensmittel- und Kulturangeboten insbesondere eine soziale Integrationskraft. Um herauszufinden, welchen Mehrwert diese Praktiken schaffen und wie die Anforderungen und Bedürfnisse vor Ort aussehen, lädt das Projekt die Anwohner*innen zu Erzählcafés ein. Die Ergebnisse ermöglichen einen Wissenstransfer und sollen in politische Handlungsempfehlungen münden. So soll aufgezeigt werden, welche strukturellen Veränderungen nötig sind, um Regionen resilient und zukunftsfähig zu machen.

Wie Lauchhammer für regionale Herausforderungen fit gemacht werden kann

Immer mehr ländliche Kommunen fördern soziale Innovationen aus der Mitte der Gesellschaft. So auch die Stadt Lauchhammer in Brandenburg. In einem Erzählcafé diskutierten Anwohner*innen Ende Oktober, welche Ideen sie für die Zukunft haben oder wie der Ort mit Veränderungen wie der Alterung der Gesellschaft umgehen kann. Die Veranstaltung, moderiert durch Melanie Jaeger-Erben von der BTU, zeigt: Viele Teilnehmende schätzen etwa das vor Ort ansässige Mehrgenerationenhaus und wünschen sich noch mehr solcher Treffpunkte, bei denen sie sich engagieren können. Die Bürger*innen gaben auch Impulse für die Stadtentwicklung: sichere Fahrradwege und mehr Spielplätze sind ihnen wichtig.

Der Bürgermeister von Lauchhammer Mirko Buhr nahm an dem Erzählcafé teil. Er betont: „In den letzten zwei Jahren haben wir Voraussetzungen für eine positive Entwicklung unserer Stadt geschaffen. Dazu zählen die Installation eines Quartiersmanagements, die Bildung von Stadtteilgremien und die Fusion der zwei großen Wohnungsgenossenschaften. Das versetzt uns in die Lage, der Stadt neue Impulse zu geben und wir profitieren vom sozialen Engagement der Bürger*innen als wichtige Zukunftsressource. Ich denke, wir sind auf einem guten Weg.“

2022 beauftragte die Stadtverwaltung den Verein Wertewandel, im Stadtzentrum das Quartiersmanagement zu betreiben. Anstatt Herausforderungen durch vorgegebene Lösungsansätze anzugehen, will der Verein die Eigenkräfte im Viertel fördern. Er richtete etwa das Erzählcafé aus und initiiert Graffitiworkshops, Quartiersspaziergänge und Pflanzentauschbörsen. „Das Quartiersmanagement hat die Aufgabe, Synergien zwischen Bürger*innen, Verwaltung und Politik herzustellen. Wir initiieren Beteiligungsprozesse und organisieren Veranstaltungen zur Belebung des Quartiers. Dabei soll die Bevölkerung aktiviert und bei der Entwicklung eigener Ideen unterstützt werden“, so die Soziologin Kira Sawicka vom Verein Wertewandel.

Digitales Werkstattgespräch am 19. Januar 2024: Die Rolle sozialer Innovationen für zukunftsfähige Regionen

Am 19. Januar 2024 lädt das Projekt von 10:00 bis 12:30 Uhr Initiativen, Praxisakteure, Forschende und politisch Aktive zu einem Online-Werkstattgespräch ein. Neben Inputs der Projektbeteiligten wird es eine Fishbowl-Diskussion mit Impulsstatements geben. Unter den Teilnehmenden sind etwa Stefanie Pötzsch, Staatssekretärin im Ministerium für Wirtschaft, Tourismus, Landwirtschaft und Forsten des Landes Sachsen-Anhalt und Philipp Hentschel vom Verein Netzwerk Zukunftsorte.
Programm
Anmeldung per E-Mail: Ida.Luetzenkirchen@ioew.de


Über das Projekt
Das Projekt „Zusammenwirken in Regionen (WIRinREGIONEN). Neue Gemeinschaftlichkeit und soziale Innovationen für zukunftsfähige Regionen“ setzt sich zum Ziel, Neuausrichtungen in der Innovationspolitik anzustoßen. Es wird vom BMBF gefördert und ist Teil des Programms REGION.innovativ in der Forschungsrunde „Regionale Faktoren für Innovation und Wandel erforschen – Gesellschaftliche Innovationsfähigkeit stärken“. Der Projektträger Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) betreut das Vorhaben. Projekt