Die Dubliner Docklands, deren Regeneration fast abgeschlossen ist, und die Hamburger HafenCity, deren Bau in vollem Gange ist, sind zwei Beispiele für eine globale Entwicklung: die Transformation von Hafengebieten. Beide Stadtentwicklungsprojekte scheinen auf den ersten Blick viele Gemeinsamkeiten aufzuweisen. Die Ethnologin Dr. Astrid Wonneberger, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Department Soziale Arbeit und Privatdozentin an der Universität Hamburg, will erforschen, ob Dublin für Hamburg ein Vorbild sein kann – aus Sicht der Familienwissenschaften.
Das Gebiet der Hamburger HafenCity entsteht auf einer Fläche von 147 Hektar, die mit dem Rückzug und Auslagerung der Hafenwirtschaft einen Verwendungswandel erlebten. Die Dubliner Docklands umfassen zusätzlich zu den reinen Wirtschaftsflächen vor allem die Wohnorte mehrerer Hafengemeinden – insgesamt 526 Hektar. Diese Gemeinden nahmen einen wichtigen Einfluss auf die Planung und die Umsetzung der Regenerierung. PD Dr. Astrid Wonneberger hat die Dubliner Entwicklung über zehn Jahr lang in einem Forschungsprojekt begleitet. Die Ethnologin wurde selbst zum Mitglied der Dockland-Gemeinden, deren Leben, Wünsche und Kultur sie erforschte.
Forschungsinteresse
Nun entwickelt Wonneberger auf Basis ihrer Forschungen einen Ansatz, der das ursprünglich ethnologische Forschungsthema der Dubliner Docklands weiterentwickelt – hin zu einem familienwissenschaftlichen Thema, das die Beziehung zwischen Familie und Stadt, zwischen familienfreundlichem Raum und Stadtplanung in den Blick nimmt. Die Frage, wie die Gestaltung von urbanem Raum Gemeindestrukturen fördern oder behindern kann, wie eine familienfreundliche Stadt umgesetzt werden kann, zeigt das Beispiel Dublin. Lassen sich die Erfahrungen auf die Hamburger HafenCity übertragen? Dieses Thema könnte im Rahmen der Forschungsmodule des neuen Masterstudiengangs „Angewandte Familienwissenschaften“ an der HAW Hamburg einen möglichen Forschungsschwerpunkt bilden.
Bisher gibt es nur wenige fundierte wissenschaftliche Studien über das neue Viertel, und die Innensicht der Bewohner, insbesondere die Frage nach einer neuen Stadtteil-Identität als community, die Wirksamkeit familienfreundlicher Maßnahmen, die Effekte des urbanen Raums auf die Nutzer des Quartiers etc. sind bislang kaum erforscht. Hieraus möchte Wonneberger ihre Forschungsfrage ableiten. Die These: Je gesünder die Gemeindestrukturen und je familienfreundlicher deren Gestaltung, desto besser gelingt eine Transformation in ein modernes und nachhaltiges Stadtquartier.
Dublin: Ein gutes Beispiel?
Die Regenerierung der so genannten „Docklands“ begann bereits in den späten 1980ern, wurde ab 1997 mit der Gründung der Dublin Docklands Development Authority (DDDA) weitergeführt und ist heute weitestgehend abgeschlossen. Besonders betroffen von den Transformationsprozessen sind die seit Generationen im Hafenviertel ansässigen Gemeinden. Bis in die 1960er Jahre waren sie vom Hafen abhängig: Manuelle, größtenteils unstete Arbeit auf den Docks, in Kohlehöfen und bei Schiffszulieferern ernährte über 50.000 Einwohner in diesen Gebieten. Nach der Einführung von neuen Technologien und Containern veränderte sich der Arbeitsbedarf. Arbeitslosigkeit wurde zu einem der größten Probleme der Viertel. Hinzu kamen wachsende Kriminalität und Drogenmissbrauch. Irlands generelle schlechte ökonomische Situation verschärfte die Situation noch zusätzlich – Arbeitslosenraten von 40 % in den Docklands waren die Folge. „Nicht einmal mehr die Polizei traute sich in diese Viertel hinein“, resümiert Wonneberger.
„Jeder kennt jeden“
Trotz des ökonomischen und sozialen Niedergangs blieb während dieser Phase die bereits bestehende enge Sozialstruktur in den Hafengemeinden bestehen. Viele Familien leben seit Generationen in dem Gebiet, viele Bewohner sind bis heute untereinander verwandt. Bis heute verstehen sich die Bewohner der Viertel als „dockland communities“, also als Gemeinden und Gemeinschaften mit einer spezifischen Geschichte und Kultur, in der Solidarität groß geschrieben wird. Diese enge Gemeindestruktur spielte bei der Regeneration des Viertels eine wesentliche Rolle.
Beteiligung nach Protesten
Das „Flaggschiff-Projekt“ – die Errichtung eines Internationalen Finanzzentrums (IFSC) in einem ehemaligen Kohlehof im Hafenviertel in den späten 1980er Jahren – brachte zwar neue Büros, Wohnungen, Geld und Arbeit in das Viertel, die sozialen Probleme der alteingesessenen Familien blieben dabei völlig außer Acht – das sorgte für Unmut. Nach langen Protesten und politischem Druck wurde die Bevölkerung in die zweite Modernisierungsphase der Docklands miteinbezogen. Sieben Repräsentanten der Hafengemeinden waren im Council der DDDA vertreten, diskutierten und berieten die Verantwortlichen und nahmen so Einfluss auf die Neugestaltung des Viertels.
Hafenvergangenheit und familienfreundliche Zukunft
Das wichtigste Kriterium für die Neugestaltung war ein „community-friendly design“. Es ging darum, die identitätsstiftende Hafenvergangenheit zu erhalten und für eine familienfreundliche Gestaltung zu sorgen. Statt die Stadtviertel zu anonymisieren, sollte der dörfliche und lebendige Charakter der Gemeinden erhalten werden. Es zeigte sich, dass viele Bewohner Angst vor Identitätsverlust hatten. Wenn alle erinnerungsbeladenen Gebäude und Strukturen einfach verschwänden – befürchteten vor allem ältere Bewohnerinnen und Bewohner – könnte man sich in der Heimat nicht mehr zurechtfinden. Projekte, in denen alte hafenbezogene Strukturen erhalten, alte Gebäude umfunktioniert oder Anlagen als Industriedenkmal restauriert wurden, waren ausdrücklich gewünscht. Auch sogenannte „Heritage Projects“, in denen Bewohner Erinnerungen an die Vergangenheit dokumentieren, zeugen von der Bedeutung der Hafengeschichte und des urbanen Raums für die Identität der Viertel.
Anders als in London, wo viele der wertvollsten Wassergrundstücke an private Investoren verkauft und bebaut wurden, ist in den Dubliner Docklands bis auf wenige Ausnahmen der öffentliche Zugang zu den Wasserflächen möglich. Einige Bauprojekte wurden mit weniger Stockwerken realisiert als ursprünglich geplant, da die Bewohner ihre traditionellen einstöckigen Reihenhäuser beziehungsweise die höchstens dreistöckigen Stadtwohnungen nicht von Wolkenkratzern überschattet sehen wollten.
Bildungsangebote, -förderungen und Jobs für die Bewohner sollten dem Bildungsdefizit und der relativ hohen Arbeitslosigkeit entgegenwirken. Gemeindezentren bekamen Förderungen für materielle Ausstattung und Gemeindeaktivitäten. Im Masterplan festgeschrieben wurde ebenfalls eine Sozialwohnungsquote von 20 Prozent aller Neubauten. Dockland-Bewohner wurden bei der Verteilung bevorzugt, um den Wegzug junger Familien aufgrund der steigenden Wohnungspreise zu verhindern und damit die alte familiäre Gemeindestruktur zumindest im Kern zu erhalten.
Dublin ist damit – trotz aller immer noch bestehenden Bedenken und Kritik – ein Positivbeispiel für die Regenerierung eines ehemaligen Hafenviertels. Dank des mit Bürgerbeteiligung entstandenen Mischkonzepts aus Wohnungen, Büros, Gemeindeinfrastruktur und öffentlichem Raum ist es ein lebendiger und familienfreundlicher Stadtteil geblieben. Für eine wissenschaftliche Betrachtung der HafenCity aus dem Blickwinkel der Familienwissenschaft kann Dr. Wonneberger von den Dubliner Docklands einige Ansätze übernehmen.
Dubliner Docklands als Rolemodel für die HafenCity?
Was lässt sich aus den Erfahrungen der Dubliner Docklands für die Hamburger HafenCity ableiten? Eignet sich Dublin als Anschauungsbeispiel, um daraus auch für die weitere Entwicklung der HafenCity zu lernen? Wie wird die HafenCity langfristig zu einem nachhaltigen und lebendigen urbanen Quartier?
Die Beteiligung der Hamburger Bürgerinnen und Bürger am Entwurf und der ersten Umsetzung des neuen Stadtteils war eher gering. Anders als in Dublin war das Hamburger Freihafenareal bis dato unbewohnt, sodass nur wenige Hamburgerinnen und Hamburger bereit waren, sich für dessen Umgestaltung zu einem neuen Stadtteil zu engagieren. Das Quartier entstand zunächst am Reißbrett. Doch die Beteiligung von neuen Bewohnern, Jugendlichen und Schülern an der Gestaltung der HafenCity hat in den vergangenen Jahren merklich zugenommen. Ein weiterer Ansatz könnte sein, die angrenzenden Gemeinden der ursprünglichen Hafenarbeiter in Rothenburgort, Veddel, Wilhelmsburg und St. Pauli mit in die Gestaltung der HafenCity einzubeziehen.
Familienfreundliche HafenCity?
Auf der Homepage der HafenCity wird das Quartier schon lange als ein „Stadtteil für die ganze Familie“ beworben. Inzwischen sind zwei Kindergärten und eine Grundschule fertiggestellt, eine weiterführende Schule ist geplant. Im Jahr 2014 hatten 16,9 Prozent der Haushalte in der Hafencity Kinder, im Hamburger Schnitt waren es 17,5 Prozent. Der Anteil der Sozialhilfeempfänger beträgt in Hamburg 9,9 Prozent, in der HafenCity sind es null Prozent. Während in der gesamten Stadt 21 Prozent der unter 15-Jährigen in Mindestsicherung leben, ist es in der HafenCity ein halbes Prozent.
Viele kritische Stimmen bemängeln den teuren Wohnraum, eine häufige Nutzung als Nebenwohnsitz und den hohen Anteil an Büroflächen und wenige Genossenschafts- und Baugemeinschaftswohnungen. Dies sorge dafür, dass die HafenCity im Jahr 2010 mit einem Quadratmeterkaufpreis von mehr als 5.000 Euro die Spitze im Stadtvergleich markiere. Auch 2017 liegen die Wohnungspreise mit 7.640 Euro pro Quadratmeter fast 3.000 Euro über dem Hamburger Durchschnitt von 4.760 Euro (Immowelt). Die Planungen für den Ostteil der HafenCity sehen nun auch geförderten Wohnungsbau und damit günstigeren Wohnraum vor.